Der Hauptmann von Köpenick im Schauspielhaus Düsseldorf

Ein Flüchtling ohne Pass und Arbeit

Das Stück nahm, nach der Uraufführung 1931 durch Heinz Hilpert und Karl Krauß in der Titelrolle, die deutschen Theaterbühnen im Sturm. Kaum zwei Jahre später war es verboten. Die Nazis hatten das Subversive des Stoffes scharfsinnig erkannt.

Was freilich kaum bekannt ist: Carl Zuckmayers Berlin-Ballade um einen arbeitslosen und vorbestraften Mann, der sich zum Hauptmann von Köpenick aufschwingt, nur um einen Pass zu bekommen, hat eine reale Geschichte als Vorlage. Wilhelm Voigt, der die uniformgläubige Welt seiner Zeit zum Narren hielt, spielte seine subversive Tragikomödie am 16. Oktober 1906, also vor exakt 109 Jahren. Im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspiels bejubelte das Premierenpublikum jetzt Christian von Treskows Inszenierung minutenlang.

Ovationen für einen vermeintlichen Schinken, dessen Aktualität sich in den Falten eines Jahrhunderts verloren hat? Mitnichten, weil Treskow sich mit seinen glorreichen Akteuren weniger dem Uniform-Coup widmet als der Geschichte eines Mannes, der zeitlebens ein Zuhause sucht, denn „es muss ja nu`n Platz geben, wo der Mensch hingehört“.

Zuckmayers Stück einmal anders. Gesehen durch die Seelenwindungen eines Mannes, der es nicht verwinden kann, seinem Gott auf dessen Finalfrage, was er mit seinem Leben gemacht habe, meint antworten müssen: „Ich bin eine Fußmatte“, auf der „se alle druff rumjetrampelt sind“. Das große Plus dieses Abends, an dem es ungewöhnlich leise, ja melancholische Szenen gibt, ist die Vielfalt seiner szenischen und darstellerischen Momente. Der Satire gibt die Regie grandios überzogene karikaturistische Sporen, wenn Militär und Uniformen sich aufplustern zum wahren Deutschtum. Doch erst die feine Ziselierung der Voigtschen Momente der Verzweiflung, seiner Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe, nach einem Zuhause machen die Inszenierung zu mehr als einer Historien-Schau. Voigts Dilemma, dem Paradox zu entgehen, dass nur wer eine Arbeitserlaubnis hat, einen Pass bekommt; und nur, wer einen Pass hat, eine Aufenthaltserlaubnis erhält, zeigt Tilo Nest als allseits herumgestoßene Kreatur voller Nachdruck und Verve. Da ist übrigens keiner ein Schelm, wer an ganz aktuelle Probleme unserer Tage denkt.

Der Begriff „Heimat“ bildet den Kern der Düsseldorfer Inszenierung. In großen orangeroten Lettern prangt das Wort auf der grellweißen Wand einer Bühne, auf der die handelnden Personen durch vier bullaugengroße Röhren auf die Spielfläche gespült werden, um sich wenig später mit Schwung wieder durch sie zu entfernen. Aus dieser in sich geschlossenen Welt kann keiner der Akteure ausbrechen.

Erst wenn Wilhelm Voigt seine Schwester besucht und seine Nichte beim Sterben begleitet, öffnen sich die weißen Wände, und aus dem Hintergrund schiebt sich eine bürgerliche Idylle ins klinische saubere Bild: Eine Couch, ein Tisch, ein Schrank – und erstmals ist Wilhelm willkommen in einem Zuhause, auch wenn es nicht das eigene ist.

Dass der fremde Onkel mit dem sterbenskranken Mädchen dann auf den Schrank klettert und von dort aus, als säße er auf seinen heimatlichen böhmischen Bergspitzen, die Schönheit des Landes unter ihnen auf seine berlinerische Art preist, ist eine der ebenso herb-poetischen wie symbolträchtigen Szenen, in denen Wilhelm Voigts Traum flüchtige Wirklichkeit wird.