Übrigens …

Muttersprache Mameloschn im Köln, Freies Werkstatt-Theater

Jüdische Schicksale

Der Stücktitel trägt eine Steigerung in sich, denn „Mameloschn“ ist zwar ein Synonym für „Muttersprache“, im Verständnis des Jiddischen aber auch ein vertiefender Begriff von nationaler Identität. Dies gilt allerdings nicht für alle Personen des Drei-Personen-Dramas. Vielmehr schildert Marianna Salzmann, wie gerade dieser Moment zu zerbröseln, sich zu verflüchtigen beginnt.

Die jetzt 30jährige Autorin - in Wolgograd geboren, in Moskau aufgewachsen, danach Studium in Deutschland - hat aus ihrer Vita sicher Einiges in Muttersprache Mameloschn einfließen lassen. Zumindest die Figur der alten Lin trägt aber vornehmlich Züge von Lin Jaldati (eigentlich Rebekka Brilleslijpers), Auschwitz-Überlebende und überzeugte Kommunistin, als solche in der DDR Vorzeige-Jüdin und Ikone sozialistischen Denkens, lange Jahre auch einzige landeseigene Interpretin jiddischer Lieder. Aber Lins Glaube an die moralische Instanz des antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaates bekam einen Bruch, denn auch die DDR war nicht gefeit gegen antizionistische Strömungen, was wesentlich mit der Figur Stalins zusammenhing. Dennoch verbeißt sich Salzmanns Lin in der politischen Vergangenheit, die ihr auch wegen künstlerischer Erfolge in toto immer noch vergoldet erscheint.

Anders Tochter Clara. Sie will „deutsch“ sein, will sich assimilieren, mit jüdischer Vergangenheit abschließen. Noch radikaler gibt sich deren Tochter Rahel, die es (zumal als Lesbe) in das Land anscheinend unbegrenzter Freiheiten, die USA, drängt. Allerdings wird sie in New York, dem Schmelztiegel heterogenster Kulturen (auch dezidiert jiddischer) neu mit ihrer ursprünglichen Nationalität konfrontiert, muss sich von ihrer Mutter beispielsweise darüber aufklären lassen, wie sie für ihre Wohngemeinschaft koscher kocht.

Familiäre Verbundenheit und individuelle Lebensabgrenzung liegen bei den drei Frauen des Salzmann-Stückes miteinander im Streit, Zuneigung und Abwehr bekriegen sich. Und dann grüßt aus dem fernen Israel auch noch Davie, Rahels Bruder, den es in die Heimat zurück trieb. Seine Briefe an die Familie, speziell die Schwester, unterschlägt Lin, um Clara zu schützen. Rahel wiederum meldet sich aus Amerika nur selten bei ihrer Mutter. Doch das lässt bei dieser das Zusammengehörigkeitsgefühl nur umso stärker lodern. Marianna Salzmanns Überzeugung: „Muttersprache ist eine ewige Fremdsprache. Eine Fremdsprache der Liebe, sicher, aber trotzdem zu endlosen Missverständnissen verdammt.“ Irgendwann ist Großmutter Lin gestorben, Clara fühlt sich (trotz Freund) einsamer denn je. Doch dann meldet sich Rahel unversehens: „Komm doch vorbei.“ Alleine diese wenigen Worte rühren einen als Zuschauer sehr ans Herz.

Im Freien Werkstatt Theater, auch in der zweiten Vorstellung bis auf den letzten Platz besetzt, lässt Kay Link, Regisseur und Ausstatter in einer Person, das Theater des Kellergeschosses auf ungewohnte Weise bespielen. Lediglich zwei Sitzreihen sind in voller Raumbreite hintereinander aufgebaut. Durch die schmale Aktionsfläche wird Nähe zwischen Schauspielerinnen und Publikum intensiviert. Die weit auseinander liegenden Spielpodeste für Lin, Clara und Rahel (ihr Dekor deutet die unterschiedlichen Lebensstile an) vermitteln wiederum ein Gefühl von Distanz, auch wenn die Wege zueinander immer offen bleiben.

Kay Link lässt seine famosen Darstellerinnen ungemein typengerecht agieren, wobei nur Clara (bereits durch ihr Kostüm) reichlich jung erscheint, eher Schwester als Mutter Rahels. Aber eine erste leichte Irritation verflüchtigt sich bald, zumal Anja Jazeschann ihre Rolle intensiv und stimmig ausfüllt. Susanne Flury umreißt die Figur der Lin mit gluckenhafter, dampfender Fraulichkeit, gewürzt mit einigem Diven-Aplomb; Mona Mucke (Rahel) ist ganz und gar jugendliches Ungestüm. Ein theatralisch starker Abend.

Trotz Shoa bzw. Holocaust im Hintergrund ist Muttersprache Mameloschn keine Abrechnung mit Hitler-Deutschland im engeren Sinne. Um der Autorin das letzte Wort zu überlassen… zum Stichwort „Israel als Heimat der Juden“ sagt sie: „Ich fühle mich nicht autorisiert, über dieses Thema zu sprechen. Es ist nicht mein Land. Es ist ein Land der Israelis. Ich lebe in Deutschland mit einem deutschen Pass. Oder mit Lin zu sagen: ‚Ich wollte nicht gegen ein Land aussagen, mit dem ich nichts, rein gar nichts zu tun habe.“ Muttersprache Mameloschn wurde 2012 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt und erhielt ein Jahr später den Publikumspreis der Mülheimer Theatertage.