Ein Fallbeispiel von der Verknüpfung familiärer und politischer Konflikte
Kronprinz Don Karlos ist verliebt in Elisabeth von Valois, die Ehefrau seines Vaters Philipp II., des Königs von Spanien. Philipp begehrt Prinzessin Eboli, eine Hofdame Elisabeths. Diese wiederum ist verliebt in Karlos. In diese erotischen Verwicklungen hinein platzt Roderich Posa, ein Jugendfreund des Infanten. Er setzt alles daran, Karlos für den Freiheitskampf in den spanischen Provinzen Flanderns zu gewinnen. Marquis Posa ist der Vordenker einer Welt, in der man seine Gefühle ausleben kann und seine Überzeugungen frei äußern darf. Damit diese Utopie Wirklichkeit werden kann, fordert Posa von Philipp „Gedankenfreiheit“.
Karlos vertraut sich – in seiner verzweifelten Liebe zu seiner Stiefmutter und in seiner Not aufgrund der mangelnden Anerkennung durch seinen Vater – Prinzessin Eboli an. Diese fühlt ihre geheimsten Emotionen verraten und ist schwer gekränkt. Aus Rache spielt sie in einem Komplott gegen Elisabeth (als Französin gehasst, galt doch Frankreich als Erzfeind Spaniens) mit, das sich letztlich auch gegen Philipp richtet.
Jan Neumann inszenierte Schillers „dramatisches Gedicht“ im großen Haus des Bochumer Schauspiels.
Das Bühnenbild zeigt die große Projektion der Fassade des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. Philipps Thron, ein einfacher Holzstuhl, steht am Ende einer auf breiter Front steil ansteigenden Rampe, die die bedauernswerten Akteure beständig hinauf- und hinabhasten müssen. Darüber neigt sich ein großer Spiegel. Auch er passt gut in das gewählte Bild, das spanische Reich als einen Überwachungsstaat zu zeigen, der auch jegliche private Handlung erfasst (Big brother is watching you!). Die Riesenkunstpalme, die sich ferngesteuert die Rampe entlang bewegen lässt, wobei einige Birnchen vielsagend blinken, gehört ebenfalls zu diesem Bild, erinnert aber mehr an ein Spielzeug für einen großen Jungen. Weitere Regieeinfälle, wie u.a. der in Neonlettern grell leuchtende Spruch „These words hold no power over me“, helfen nicht, die Aussage des Werkes (die Verknüpfung von weltpolitischen Themen mit innerfamiliären Konflikten) über den Text hinaus zu kommentieren oder zu vertiefen.
Torsten Flassig ist Neumanns Don Karlos. Sicher, er spielt sich die Seele aus dem Leib. Glaubhaft die Nöte und seelischen Konflikte eines jungen Mannes, der glaubt, dass Werte wie Freundschaft und Ehrlichkeit auch einen Tyrannen erweichen können. Befremdlich: Szenen, in denen er mehr an ein trotziges, jammerndes Kind erinnert, das sich in einen an der Rampe aufgetürmten Sandhaufen stürzt und dort in Embryohaltung verharrt. Überzeugend Jürgen Hartmann als Philipp, der durchaus seine großherrschaftliche Macht hinterfragt, wenn er zu Posa sagt: „Nichts mehr von diesem Inhalt, junger Mann. Ich weiß, Ihr werdet anders denken, kennt ihr die Menschen erst wie ich“. Florian Lange ist Domingo, der Beichtvater des Königs. Er verkörpert diesen katholischen Priester, der seine politischen Ambitionen skrupellos durchzusetzen versucht, nachdrücklich. Herausragend Daniel Stock als Posa, der alles für seinen Freund tut und der bedingungslos für seine politischen Ideale kämpft.
Der Abend hätte mehr Posas gebraucht. So erinnert doch manche Passage mehr an Aufsagetheater, was auch durch manch sinnlos erscheinende Hin- und Her-Rennerei nicht aufgewertet wird. Schade.