Übrigens …

Flüchtlingsgespräche im Schauspielhaus Düsseldorf

„Der Pass ist der edelste Teil eines Menschen“

Sie sollten erst später auf den Brettern des Düsseldorfer Schauspiels auftauchen. Doch die aktuelle Situation ließ Beelitz und seine Crew beherzt handeln: Bertolt Brechts Flüchtlingsgespräche rutschten zeitlich nach vorne. Nicht schlecht, denn Brechts Physiker Ziffel könnte für die vielzitierten syrischen Ärzte stehen, der Arbeiter Kalle für das „normale“ Volk. So lässt der Sprung ins Jahr 1940, als Brecht selbst als Flüchtling in Finnland lebte und die Gespräche zu schreiben begann, erstaunliche Parallelen zum Heute zu.

Ziffel und Kalle, die sich zufällig im Bahnhofsrestaurant von Helsinki kennen lernen, suchen ebenso nach einem Land, das sie aushalten kann und das sie aushalten können wie die Hilfesuchenden von heute. Der entscheidende Unterschied: In den 40-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verließen Deutsche das Land, das nun von Hunderttausenden als vermeintliches Paradies glorifiziert wird.

Ehe sich Andreas Weißert alias Ziffel und Jürgen Mikol alias Kalle an einem kleinen Tisch niederlassen und dort über den „edelsten Teil von einem Menschen“, nämlich einen „Pass“, räsonieren und philosophieren, kommen ein paar „Nibelungen“-Verse über Kalles Lippen, lebt Fontanes „Ich hab es getragen sieben Jahr“ aus Archibald Douglas auf, und beschwören einige Heine-Verse die verlassene Heimat. „Alles Flüchtlingsgeschichten“, meint Ziffel, der elegant gekleidete Physiker, neben dem Kalle, mit Schlagmütze und Joppe, wie eine Wiedergeburt Brechts erscheint.

18 Szenen sind es, in denen der Autor Brecht mit Witz, trockenem Humor und einer Menge Ironie und Sarkasmus Erziehung und Demokratie, Sozialismus und Kapitalismus, Tugend und Realität über die verbale Klinge springen lässt – während eine Woodhouse-Karikatur, auf der ein Mann ein Hakenkreuz auf die Straße pinkelt, groß im Hintergrund prangt. Deutschsein bekommt sein Fett ab, und dass „scharfes Denken schmerzhaft“ ist, meint wohl (auch) all die Verantwortlichen der heutigen Malaise, denen Entschlusskraft abhanden gekommen ist.

Einige Male muss Brecht sogar selbst schweigen, um den Seehofern, de Maizieres und von der Leyens kaum vom Denken belasteten Äußerungen zu überlassen. Auf die Spitze treibt es Ziffel, wenn er den Gedanken äußert, man sollte, um Kriege ungestörter führen zu können, die eigenen Zivilisten im Feindesland absetzen. Doch was ist, wenn der Feind dasselbe tut, denkt Kalle laut.

Ein Abend im Kleinen Haus in Düsseldorf, der nach- und mitdenken lässt, ohne einfache Antworten zu liefern. Mit zwei Akteuren, denen der ironische Spaß spürbar aus allen Poren dringt.