regere/feeding fears im Düsseldorf, Forum Freies Theater

Alles erwünscht: Lachen, Staunen, Mitmachen

Endlich ist es in Düsseldorf angekommen: das Festival „west off 2015“ - Freies Theater entlang der Rheinschiene. Zum sechsten Mal bündelt das Theaternetzwerk Rheinland vier Gastspiele etablierter Theatermacher aus der Region und drei Eigenproduktionen junger Ensembles zu einer komprimierten Zusammenschau der freien Theaterszene im Rheinland.

Am 20. Oktober in Köln gestartet, kam das Festival über Bonn jetzt ins FFT Düsseldorf und eröffnete mit zwei für das „west off“ ausgewählten Produktionen der jungen Ensemble „Progranauten“ und „A Barrel of Monkeys“, deren Arbeiten sich zwischen Performance, Neuem Zirkus, Physical Theatre und Lichtkunst bewegen und es schaffen, das Publikum einzubeziehen, zu animieren und herauszufordern.

Das gelingt in hohen Maßen dem Theaterkollektiv Progranauten mit der Performance regere, die antritt, Sinn und Zweck von Regieanweisungen zu erforschen. Dazu gibt es vorab einen Handzettel, der – vom Kopf auf die Füße gestellt – viel Kluges enthält. Mit einiger Verspätung geht’s dann ins Studio, doch die Sitze sind mit rot-weißem Band gesperrt. Dem Publikum bleibt nur der Bühnenraum, der allerdings vollgestellt ist mit allerlei Kuriositäten, die, wie wir erfahren, den von der Decke herabbaumelnden Theaterstücken zugeordnet sind. Elf Minuten haben wir Zeit, uns zu informieren, ein Stück auszuwählen und - längst zu Mitspielern geworden - mit auf die freigegebenen Plätze zu nehmen. Nun beginnt das eigentliche Spektakel: wir verfolgen gespannt, wie ein riesiges Glücksrad und herumschwirrende Lichteffekte (produziert von den „scheinzeitmenschen“) einen Mitspieler aus dem Publikum bestimmen, der dann den Schauspielerinnen (Josefine Rose Habermehl und Ulrike Weidlich) die in seinem Buch markierte Regieanweisung für Improvisationen vorträgt. In strengem Zeittakt entstehen skurrile, überraschende oder auch absurde Szenen. Altbekannte Vorbilder werden zitiert: da fliegt eine Aldi-Schoko-Sahnetorte ins Gesicht einer Darstellerin und hinterlässt für den Rest des Abends einen Schokoladenduft, als sei man in einem Café. Auf Kommando werden die Bücher weitergereicht, jeder ist höchst konzentriert, er könnte ja der nächste „Regisseur“ sein. Doch dann plötzlich: Stopp! Man greift unter seinen Stuhl, da ist ein Zettel wie ein Kassenbon, auf dem alles fein säuberlich aufgelistet ist: von dem verdrehten Text auf dem Flyer zu Beginn und dem verspäteten Einlass über all die Schein-Improvisationen bis zum desillusionierenden Schluss.

Die Performer wollen „manifestierte, für selbstverständlich wahrgenommene Sichtweisen“ durchbrechen. Man hätte das Spiel mit Illusion und Tricks durchschauen können, doch die Wahrnehmung war umgelenkt. Die Spieler haben ihr Ziel erreicht: Ich bin der Manipulation erlegen und die meisten im Studio auch.

Die Grundidee überzeugt, die einzelnen Szenen nicht immer. Die komplizierte Technik funktioniert perfekt. Bis auf einige Längen und unnötigen Klamauk insgesamt ein gelungener Theaterabend, der zugleich Spaß und Denkanstöße bietet.

Nach kurzer Pause im Düsseldorfer FFT folgt feeding fears des Ensembles „A Barrel of Monkeys“.

Es beginnt mit einer Szene von ergreifender Intensität: Eine Frau legt Samenkörner aus – liebevoll konzentriert, behutsam. Von der anderen Bühnenseite nähert sich bedrohlich eine andere Frau mit riesigem Schaber und zerstört das Werk. Die Szene von Aussaat und Zerstörung wiederholt sich, bis die Säerin aufgibt. Sie singt das Lied vom Fuchs, der die Gans gestohlen hat mit der Warnung vor dem Jäger und dem eigenen Tod. Doch es gibt keine Antwort, die Szene bleibt offen.

Im Folgenden gelingt es den beiden Performerinnen Clara Groeger und Sabeth Dannenberg durch einen überzeugenden Einklang von Tanz, Artistik und Reflexion, das Theater zum Erlebnisraum werden zu lassen. Sie wagen es, Themen der Zeit wie Identitätssuche, Vereinsamung, Aufeinander-Angewiesen-Sein, Ratlosigkeit und Vertrauen körperlich glaubhaft zu gestalten. Der narrative Teil bringt Reflexionen zu Diskriminierung und „rassistischer Markierung“, zu Weißsein als Privileg (Critical Whiteness). Dabei wirken die beiden trotz der Theorielastigkeit nachdenklich und sympathisch authentisch. Immer wieder wenden sie sich mit unverkrampfter Selbstverständlichkeit direkt ans Publikum, als suchten sie das Gespräch und schaffen dadurch eine Atmosphäre engagierter Vertrautheit.

Unnötig sind allerdings einige Aktualisierungen durch allzu erwartungsgemäße Themen wie Pegida. Und auch der gutgemeinte Versuch, durch Popcorn die Sinnlichkeit der Performance zu steigern, passt nicht zur vorherrschenden „kritischen Happyness“ des gesamten Stückes, wie es im Publikumsgespräch freundlich formuliert wurde.