Lümmeliger Sophokles
Das in Köln ansässige Deutsch-Griechische Theater (DGT) besteht seit 25 Jahren, eine ganz schön lange Zeit für ein freies Ensemble ohne eigenes Haus. Entsprechend groß ist die Zahl der Theater, mit denen das DGT kooperiert(e). Es begann 1990 mit der Kölner Musikhochschule (Ploutus von Aristophanes), später war man oft zu Gast im Freien Werkstatt Theater und in der Studiobühne. Inzwischen spielt auch das Theater im Bauturm den Gastgeber. Hier wurde vor zwei Jahren mit der Weibervolksversammlung des Aristophanes übrigens die einzige Wiederholungsinszenierung eines Stückes gegeben. Im Jubiläumsjahr hat man mit Antigone ein besonders attraktives Antikendrama ausgewählt, „von Kostas Papakostopoulos nach Sophokles“, wie es im Programmheft heißt. Die Reihenfolge der Autorennamen ist nicht zufällig. Mitunter hört man „klassisch“ geformte Redewendungen, doch aus der Hölderlin-Version stammen sie mit Sicherheit nicht.
Auch die politische Akzentsetzung ist gegenüber dem Original verändert. Naturgemäß empfindet man besondere Sympathien mit der Titelfigur („Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da“). Kreon hingegen, der rationale Herrschertyp, wird in der Regel als Schandtäter gesehen. Im altgriechischen Verständnis von einer göttlich begründeten Polis steht er mit seiner „Inhumanität“ aber durchaus auf der Seite des Rechts, welches er als Staatsoberhaupt zum Wohle des Volkes kategorisch einfordert.
An diese Auffassung hat sich bereits Bertolt Brecht nicht mehr gehalten, als er seine Antigone-Version schrieb. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg lag es natürlich nahe, in den Stoff die NS-Vergangenheit zu infiltrieren. Auf welcher Seite unter diesen Umständen das Recht steht, dürfte klar sein. Auch bei Kostas Papakostopoulos gibt es klare Schuldzuweisungen: Kreon ist ein aalglatter Realpolitiker, welcher seine Regierungsfahne immer nach dem Wind dreht. Wenn mit dem Freitod seines Sohnes Haimon und seiner Gattin Eurydike auch eine persönliche Katastrophe über ihn hereinbricht, benötigt er nur wenige Minuten, um dieses Unglück zu einer neuen, ihm nützenden politischen Strategie umzupolen.
Dieser Moment ist besonders typisch und entlarvend für die Inszenierung von Kostas Papakostopoulos. Stefan Kleinerts Kreon ringt exaltiert nach Luft und bittet jammernd das Publikum, doch bitte irgendeine Tür zu öffnen. Kalauerndes auch sonst in der Aufführung. Terja Diavas berserkerhafter Wächter, welcher von Antigones schuldhaftem Bestattungsritual bei ihrem Bruder Polyneikes berichtet, mag als rasantes Porträt noch angehen. Dass aber Ismene über Eurydikes Selbstmord mehr oder weniger schnapstrunken berichtet, ist schon ein dicker Hammer, wie überhaupt diese Figur von Stephanie Meisenzahl ziemlich lümmelig als Partygirl dargestellt werden muss. Dafür ist die mimisch eingefrorene Annika Weitershagen als (noch lebende) Eurydike darstellerisch erst gar nicht vorhanden. Stefan Kleinert echauffiert sich als Kreon, Thomas Franke (der vermummt auch den Teiresias gibt) unterstützt als Staatspräsident durchaus wirkungsvoll den Akzent der Inszenierung: Politik ist ein schmuddeliges Geschäft, dient einzig der Machterhaltung. Ein Ruhepol der Ernsthaftigkeit in all dem aufgeregten Gewusele ist die Antigone der Lisa Sophie Kusz. Herbert Mitschke klimpert am Keyboard das Eine und Andere, darf auch ein paar kluge Sentenzen von sich geben. Zu einem ergiebigen Abend trägt freilich auch er nicht bei.