Mitreißendes Duett der Menschlichkeit
Er hat schon bessere Zeiten erlebt, der Peter Turrini. Zeiten, in denen er auf vielen Bühnen dieser Welt für Aufsehen sorgte. 1971 war seine Rozznjogd ein Theaterhit, 1988 der Minderleister, schon 1980 hatten Josef und Maria für Aufmerksamkeit gesorgt. Das Wiener Burgtheater war lange eine Art zweites Zuhause für den heute 71-jährigen Österreicher, dem vor allem Claus Peymanns Inszenierungen den Weg zum Theater-Olymp wiesen.
Welchen Charme, welche Menschenliebe und Empathie der 2011 mit dem Nestroy-Theaterpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnete Autor in seinen Stücken noch immer bewegt, zeigt sich derzeit wieder einmal mehr in seinem Zweipersonenstück Josef und Maria. Man glaubte es vergessen, dieses völlig zu Unrecht – wie sich im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspiels erwies – einmal als „Weihnachtsmärchen für Erwachsene“ bezeichnete Stück. Ist es doch zwischen Bitternis und Hoffnung, Sehnsucht nach Vergangenem und Wünschen ans Heute gefangen.
Maria und Winnie als ferne Verwandte
Wem dabei Momente Beckett`scher Welt- und Menschensicht in den Sinn kommen, dürfte nicht ganz falsch liegen. Denn Turrinis Maria, einst Variete-Tänzerin und Männerschwarm im albanischen Tirana, nun Putzfrau in einem Kaufhaus, erweist sich als ferne Seelen-Verwandte Winnies aus Becketts Glücklichen Tagen. Und wie dort Willie Partner und Gegenpol ist, bewegt sich auch Josef: körperlich, sprachlich und seelisch wie in ein Korsett gesperrt. Auch er lebt in einer fernen Welt, in der Träume von einer verpassten Schauspieler-Karriere die Realität verdrängen.
Und doch ist Turrinis Maria ganz anders. Vor dem Versinken, das Winnie droht, bewahren sie grelle Gefühls- und Temperamentsausbrüche. Ihr Glück gründet zwar in einer seligen Erinnerung, doch zugleich hofft sie, am Ende ihres Lebens noch einmal einen Zipfel der Glückseligkeit zu erhaschen. Wenn sie schließlich mit dem zuvor stocksteifen Josef unter einen Pelzmantel flüchtet, bleibt es der Phantasie des Zuschauers überlassen, ob es das Ende oder der Anfang eines Altersglücks ist.
Das Geheimnis der roten Ballons
Zehn riesige rote Ballons beherrschen den Raum. Kleine und große weiße Stoffbären lungern am Rand der Spielfläche. Mit einem dicken weißen Watteboden, der an schneebedeckte Flächen denken lässt, hat Florian Etti zudem den Raum verzaubert. Das Kaufhaus ist gerade geschlossen worden, die Käufer haben es verlassen, Heiligabend steht vor der Tür. Und Maria, die sich zum Putzen bereit, sprich: mit Kopftuch und Kittel hässlich macht, scheint einsam und allein. Bis ihr der Wachmann Josef in die Quere kommt, der die häusliche Einsamkeit flieht und gerne Dienst macht.
Es ist geradezu ein Glücksfall – für beide, wie sich zeigt. Sie offenbaren sich, berichten über ihr Leben, nehmen zunehmend Anteil am Schicksal des Anderen. Erinnerungen tauchen auf, die Verführbarkeit der einst blutjungen Tänzerin durch attraktive Männer wird ebenso Thema wie Josefs Beeinflussung durch markig-ideologische Sozialisten-Sprüche. Beides ist vergangen, ihre Männer sind nur noch Schemen, seine Weggefährten und Genossen perdu.
Alexander Kubelka hat wenig Mühe, aber keine Details gescheut, die pausenlose Aufführung aus anfänglicher Unverbindlichkeit über sich allmählich aufbauende Spannung bis zu schauspielerischen Glanzpunkten zu führen. Manuela Alphons wächst dabei zur grandiosen Interpretin einer Frau, deren Optimismus unzerstörbar ist und damit über alle Hoffnungslosigkeit triumphiert. Sie strahlt wie einst im Mai ihres Lebens, sie lebt auf, wenn sie Josef zum Tango verführt. Dem wiederum gibt Winfried Küppers eine derart anrührende Staksigkeit und Menschlichkeit mit auf den Weg, dass der kleine große Abend zu einem mitreißenden Schauspieler-Abend wird.