Caspar Hauser, eine Projektionsfläche für alle möglichen Vorstellungen, Wünsche und Ängste der Menschen
1908 erschien Jakob Wassermanns Roman Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens, in dem einerseits das Schicksal dieses jungen Menschen ausgebreitet, aber auch die Gesellschaft kritisch analysiert wird, die sich zum Ziel gesetzt hat, aus einer unzivilisierten Kreatur einen gebildeten Menschen zu machen.
Der historische Caspar Hauser stand 1828 am Pfingstmontag auf dem Unschlittplatz in Nürnberg. Ein verwahrlost wirkender junger Mann, anscheinend geistig verwirrt, kaum in der Lage, zu gehen und zu sprechen. Seine einzigen Erinnerungen an sein bisheriges Leben: er hatte nur in einem dunklen Verlies gelebt, ohne Kontakt zu Menschen. Rätselhaft auch seine Abstammung, der Gerüchte gab es viele. So munkelte mancher, Caspar sei der illegitime Abkömmling eines Adelshauses. Dieser ob seiner Andersartigkeit exotisch wirkende Jüngling zog zunächst die Neugier ganz unterschiedlicher Menschen auf sich. Darunter viele, die nur die Sensation bestaunen wollten. So mancher versuchte, Gott zu spielen, ihn zu erziehen und vor allem zu disziplinieren.
Polasek und Grau halten sich in wesentlichen Zügen an Wassermanns Roman, greifen jedoch gezielt Szenen und Episoden heraus, die für manche Aspekte der Geschichte prägnant sind. Im Zentrum und immer auf der Bühne anwesend: Caspar Hauser, überragend gespielt von Silvia Weiskopf, einer leicht androgyn wirkenden jungen Frau mit langen blonden Haaren. Schnell aber sieht der Zuschauer in ihr nur noch den von neuen Erfahrungen geradezu überrollten und zunächst überforderten sensiblen Menschen, der zwar erstaunlich schnell lernt, aber dennoch immer ein Außenseiter bleibt. Drei Schauspieler (Ines Krug, Jens Winterstein, Stefan Diekmann) sind zugleich Erzähler und verkörpern immer wieder in einer Episode bestimmte Figuren in Caspars Umfeld. So Winterstein u.a. Professor Daumer, der fasziniert feststellt: „Er ist ein Wunder … ein Wesen ohne Vergangenheit“. Diekmann glänzt als von sich überzeugter Lehrer Quandt, der den scheinbaren Starrsinns seines Zöglings, der schnell gelernt hat, brechen will. Weiskopf gelingen anrührende Einblicke in die Psyche dieses verlorenen Menschenkindes: „Ich muss hingehen und mir einen Platz erobern, von dem man mich nicht mehr vertreiben kann“.
Graus Bühnenbild bildet die perfekte Ergänzung zu dieser Inszenierung. Eine grauschwarze Spielfläche ohne Requisiten, mit nur einer kreisrunden Wasserfläche und einem kahlen Baum, an dessen Ästen Glöckchen hängen. Auch das Licht spielt eine wichtige Rolle. Beim Rückblick auf Caspars Vergangenheit im Verlies erscheint die Szene im Halbdunkel, man denkt an die Bilder alter holländischer Meister.
Ein äußerst bewegender Abend mit einem hervorragenden Ensemble, dessen Zauber man sich nicht entziehen kann.