„Warum tun denn all die anderen Leute nichts?“
Dirk Laucke, Jahrgang 1982, wuchs in Halle auf, studierte einige Semester Psychologie in Leipzig, später wechselte er zum Studiengang „szenisches Schreiben“ in Berlin.
2014 wurde sein Stück Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute in Stuttgart uraufgeführt. Es zeigt in einer losen Szenenfolge, wie sich rechtsradikales Denken im Alltag unserer Republik breit macht. In Zeiten zunehmender Attacken gegen Flüchtlingsheime hat es sehr an Brisanz gewonnen. Laucke studierte Augenzeugenberichte und Zeitungsnotizen aus den Jahren 2007 bis 2013, schaute genau hin und beschrieb die Tendenzen in seinem Stück. Eine nüchterne Bestandsaufnahme zahlreicher teils unterschwelliger, teils offen gezeigter Beispiele von Rassismus.
„Warum tun denn all die anderen Leute nichts?“, fragt einer zu Beginn, nachdem er den brutalen Abtransport eines Afrikaners durch die Polizei beobachtet hat und von einer Frau der Beihilfe bezichtigt wird. Dann wird in einer anderen Szene gehetzt über einen angeblichen „Kinderficker“ in der Nachbarschaft, bei dem man die „Hygiene“ vorbeischicken sollte. „Türkenpack, ab nach Auschwitz“, ärgert sich ein Mann, weil es ihm zu laut ist. Sündenböcke meinen diese absolut nicht glücklichen Leute immer schnell zu finden. Nur nicht die Schuld bei sich selber suchen. Und wenn sie nicht in vorderster Front mitpöbeln, dann schauen sie zumindest weg und helfen den Opfern nie.
Die Sprache ist mehr als vulgär. „Fotze“, „Ficker“ und ähnliche Termini dominieren. Das allein ist sicherlich kein krimineller Tatbestand, spiegelt aber die Verrohung der hier gezeigten Gesellschaft, in der Folter und Mord an einem Mitmenschen fast wie ein unterhaltsames Geplänkel beschrieben werden.
Pinar Karabulat hat das Stück in der „Grotte“ inszeniert. Die kleine Spielfläche liegt in einem Container und erlaubt nur eine minimalistische Inszenierung. Relativ wenige Zuschauer sitzen auf zwei Bankreihen auf jeder Seite direkt am Ort des Geschehens. Zuweilen werden sie durch unmittelbare Ansprache auch unmittelbar einbezogen. Symbole deutscher Gemütlichkeit wie Gartenzwerge, Jägerzaun, Rollrasen, Geranienkästen und ein leibhaftiges Schneewittchen beleben das Bühnenbild. Die Schauspieler (Simon Kirsch, Justus Maier, Magda Lena Schlott, Nicolas Streit, Lou Zöllkau) spielen alle unterschiedliche Rollen mit viel Körpereinsatz. Beeindruckend in manchen Szenen, dann wieder – weil nur laut und pöbelhaft – ohne weitergehende Wirkung. Klar, Laucke hat den Leuten auf den Mund geschaut und in erster Linie Beispiele aus den unteren Gesellschaftsschichten gewählt. Manche „humorvolle“ Bemerkung lässt das Lachen den Zuschauern im Halse ersticken. Vieles wird jedoch zu sehr ausgereizt. So das scheinbar ewig dauernde Pinkeln in eine Thermoskanne, die dann der neuen Bekanntschaft, natürlich einer Frau, angeboten wird. Warum müssen die Sieben Zwerge Schneewittchen vierzehn Mal ficken? Nicht schockierend, nur langweilig.
Am Ende steht eine absurde Debatte in einem Theater. Der Intendant will die anrührende Geschichte eines israelischen Autors nicht nehmen, weil hier die Thematisierung des Palästinenserkonflikts fehlt. Zu Recht stellt Laucke die Frage: „Was ist Theater eigentlich für ein Ort?“ Diese Szene beeindruckt auch in Köln, vielleicht umso mehr, weil einmal nicht verbal und mimisch auf den Putz gehauen wird.
Ein wichtiges Stück, gerade heute. Eine punktuell beeindruckende Inszenierung, die aber leider in der gut gemeinten Überzeichnung oft untergeht.