Keine Engel in Genua
Da mischt eine wilde, junge Truppe die unter dem alten Dogen in die Jahre gekommene Republik Genua auf. Es wird Party gemacht ohne Ende. Doch abseits des Fetenlärms hat jeder von ihnen Ziele, Vorstellungen für sein künftiges Leben entwickelt, will diese erreichen, sich ausprobieren. Da ist der fiese Gianettino, Spross der Herrscherfamilie. Er schreckt vor Gewalt zur Sicherung seiner Interessen nicht zurück und auch Vergewaltigung ist ihm probates Mittel, wenn er eine Frau haben will. Christoph Rinke stattet ihn mit finsterer, dumpfer Rohheit aus. Lilly Gropper ist eindringlich als sein Opfer Bertha.
Auf der anderen Seite Fiesco. Er treibt es am wildesten auf den Parties – ein Party-Löwe, aber ein gefährlicher, denn er spielt doppeltes, wenn nicht dreifaches Spiel. All’ sein Handeln ist dem Willen untergeordnet, die Alleinherrschaft zu gewinnen. Raffiniert weiß er die Interessen seiner Freunde zu nutzen, die auch ganz unterschiedliche Wege anstreben: Anrührend zeichnet Natalja Joselewitsch Fiescos Frau, die von einem stillen Glück zu zweit träumt. Bedingungslos verliebt in Fiesco ist Julia, Dorias Schwester und wird doch dessen erstes Intrigen-Opfer. Claudia Hübschmann ist perfekt in der Darstellung gebrochenen Stolzes. Von seinen Freunden und Mitverschworenen weiß Fiesco genug, um jeden von ihnen mit dessen individuellen Wünschen zu ködern. Wünscht der eine sich aufrichtig eine echte Republik, will der andere seine Ehre rächen und der nächste nur seine finanzielle Situation in Ordnung bringen. Ilja Harjes gibt den abgeklärten Verschwörer, Maximilian Scheidt, Daniel Rothaug und Frank-Peter Dettmann die jungen Wilden.
Nicht zum Kreis der jugendlichen Adligen gehört Muley Hassan, Fiescos Spion. Der hat sich aber sein Leben bereits eingerichtet nach dem Motto: „legal? illegal? scheißegal.“ Bálint Tóth gibt ihn mit großer Bühnenpräsenz. Die besitzt auch Jonas Riemer in der Titelrolle. Sein Fiesco wirkt in jeder Situation – gerade da, wo er als Fiesco eine Rolle in der Rolle gibt. Riemer ist tollpatschiger Welpe, harmloser Party-Mensch, aufrichtig Liebender, gnadenloser Intrigant und hemmungsloser Demagoge.
Und so glückt Regisseur Frank Behnke die auf keinen Fall einfach zu bewältigende Aufgabe, Schillers Fiesco Leben einzuhauchen. Denn trotz schöner Dialoge bleibt Fiesco auf jeden Fall ein Drama, in dem erst mal die beste aller Staatsformen erörtert werden soll und das so auch recht „theoretisch“ bleibt; dessen Personal weitgehend typisiert daher kommt.
Behnke lässt seine Akteure auf einem Laufsteg agieren, auf dem die kraftstrotzenden Jugendlichen sich austoben, sich richtig produzieren, provozieren, Duftmarken setzen können. Denn das Ganze ist auch Theater im Theater. Oben auf der beleuchteten Galerie sitzt Publikum, das zum Personal gehört und genauso einbezogen wird wie das Publikum im Parkett. Sicher nicht beabsichtigt war der über die erste Reihe verspritzte Eimer Theaterblut. Eine ganz starke Szene übrigens die Darstellung des blutigen Aufstandes mittels einiger an Karabinerhaken hängender Eimer roter Farbe, die die so harmlos wirkenden Agierenden in einen wahren Blutrausch fallen lassen. Frank Behnke gelingt ein intensiver Fiesco voller Leben.