„In der Angst ist dieses süßliche Wir-Gefühl wieder erweckt"
Zunächst sollte man festhalten, dass „andcompany“ mit dem Titel WARPOP MIXTAKE FAKEBOOK VOLXFUCK PEACE OFF! 'Schland Of Confusion auf keine falsche Fährte führen - der Name ist tatsächlich Programm. Massig Input, alles etwas overstyled, etwas too much und jedes Wort eine Explosion.
Autobiografisch erscheinen die fragmentarischen Geschichten, von denen jeder der drei Live-Akteure im Verlauf der Performance berichtet. Sie alle eint, ein „Cold War Kid" gewesen zu sein. Ihre für WARPOP reproduzierte Haltung, die sie in ihrer Kindheit zu sich und der Menschheit allgemein aufgebaut haben, ist anrührend und bizarr zugleich. Gemeinsam war der Glaube zur Spezies der letzten Kinder der Erde zu gehören, nie wieder würde es nach ihnen welche geben, denn bald schon wird alles verglüht sein. Somit wohnte ihnen ein kruder Status von Erhabenheit inne, setzte sie praktisch mit einer Art letztem Einhorn gleich. Und dann also doch kein Supergau? Also auch keine Angst mehr? Wie ein Kuscheltier, das auf dem Dachboden gelagert wurde, würde es sich mit dieser laut „andcompany“ verhalten. Ab und an muss man sehen, ob sie noch da ist. Und ja: Ist sie! Und diesem Stück zufolge, ist sie genau jetzt wieder so präsent, wie sie es zuletzt zu Zeiten des kalten Krieges war.
Diese unrationale Angst, die man wie einen Panzer vor sich herträgt, eint all die diversen Protestbewegungen – Aktivisten unterschiedlichster Lager wollen die Friedenstaube für sich okkupieren und treten miteinander ins Gefecht.
„andcompany“ ist in Teilen nicht weit vom politischen Straßentheater entfernt, wenn sie in kleinen sketchartigen Sequenzen über die neuen Dimensionen der jetzigen Diskurslandschaft aufmerksam machen. Sogenannte Querfronten verunmöglichen, anders als zu Zeiten des eisernen Vorhangs, eine klare Abgrenzung zwischen politisch rechts und links. So haben sich vor allem die Rechten Attribute angeeignet, die auch ihren Gegnern gefallen. Aber auch Links gibt sich oft auffällig repressiv und wertkonservativ – wo führt das alles hin?
Bei „andcompany“ jedenfalls führt alles über zwei dramatische Stoffe, die sich gemeinsam mit der Vielzahl augenscheinlich autobiografischer Erzählungen zu einem Diskursgewitter sondergleichen erhitzen: Von der Anfangsszenerie von Terminator 2, in der Protagonistin Sarah Connor einen Spielplatz vor sich sieht, der sich langsam in Folge eines atomaren Supergaus auflöst, wurde der Bühnenaufbau inspiriert, der sich in Form von drei Rutschen gestaltet, die sich flexibel über den Bühnenboden bewegen und neu anordnen lassen.
Georg Orwells 1984 trägt außerdem beängstigend zu WARPOP bei: Big Brother Alexander Karschnia schwebt konstant als digitale Projektion über dem Szenario, ergreift unregelmäßig das Wort und bietet sich unter anderem als alleiniger Friedensführer an. Er monologisiert als psychotischer Gott, als eine Art verstrahlter Althippie und spuckt Allmachtsfantasien, gegenwartskritischen Punchlines und wirre Prophezeiungen eines nicht mehr vertragsfähigem Straßenbahngurus aus. Die These, dass 1984 die digitalisierte und hypervernetzte Gegenwart ist, macht ein weiteres großes Fass auf. Jede Informationstechnologie war zunächst mit emanzipatorischen Hoffnungen verquickt, Perspektiven der freien Meinungsäußerung verkehrten sich bei TV und Radio unter den totalitären Regimen aber zum genauen Gegenteil. Dass sich Pegida ohne die unterm Strich so positiv konnotierte One-World-Media wie Facebook und Twitter nicht in der Form und Geschwindigkeit hätte verwirklichen lassen können, dreht einem doch irgendwie den Magen um. Eine unheimliche Vorstellung ist es, dass all die Vernetzung am Ende ein böses Ende nehmen wird, weil die dunkle Seite ihr Herr wird. Die schauderhafte 1984-Gegenwarts-Analogie, sie kommt nicht von ungefähr.
Das Material verlinkt sich wild durch den gigantischen Referenzkosmos aus frei florierenden Zeichen und individuellen Erinnerungen der 1980er-, wie auch der Jetzt-Angst, aus der Pegida, AfD, FPÖ und so weiter ihr Kapital schlagen. Der sich langsam in Bewegung setzende semiotische Hurricane tobt mit einer derartigen Geschwindigkeit, dass man den Überblick über all das verlieren kann, was von ihm mitgerissen wird. Von umgetexteten Popsongs, über kitschige sakral anmutende Heiligenbeschwörungen, bis hin zu Showelementen, die an die Sendung „American Gladiators“ erinnern – was hier simultan zum Text geschieht, ist ein sehr eigenwilliger neonfarbener Mix.
Dramaturgisch funktioniert das Kollektiv stark über Sound. Das vom Klangkünstler und Performer Sascha Sulimma eingespielte und live modulierte musikalische Material bildet den Teppich, auf dem der diskursive Stoff kistenweise ausgeschüttet wird – klare Zäsuren im Ton markieren einzelne Ereignisfelder im Stück und suggerieren eine Ordnung, die der stark geforderten Aufnahmefähigkeit des Zuschauers entgegenkommt. Der alte Schnack „sound is half the movie" geht auch bei „andcompanys“ originären lecture performances voll auf.
Die Behauptung eines Comebacks des Verunsicherungsgefühls der 1980er war Ausgangspunkt für „andcompany“. Haben Sie recht? Wie sollte man das empirisch beweisen können, dafür müssten tatsächlich Zeitreisen her, welche anbei auch zum spielerischen Großangebot bei WARPOP gehören. Auf einer merkwürdigen Ebene berührt das clever zusammengetragene Material und lässt uns von einer Warte auf das Blicken, was hierzulande seit vielen Monaten an Polemik und Hetze tobt. 80er-Comeback hin oder her, WARPOP bricht vor allem eine Lanze für die Analyse der noch so neblig erscheinenden 2010er Jahre.
Die Inszenierung ist ein weiteres Mal zu sehen am 6. Februar 2016 ab 20 Uhr im Ringlokschuppen Mülheim/Ruhr.