Ein derber Spaß - oder eine Lektion über die Brüchigkeit der bürgerlichen Lebensform
Schon der junge Brecht probierte verschiedenste literarische Formen aus, lange vor dem eigentlichen Start seiner Karriere. 1919 verfasste der damals 21-Jährige den Einakter Hochzeit, den er später in Die Kleinbürgerhochzeit umbenennen sollte. In dieser Satire beleuchtet er witzig-unterhaltsam Dünkel, Spießigkeit und kleinkariertes Denken der Kleinbürger, die er aus nächster Nähe kannte. Die Kleinbürgerhochzeit wurde erst 1926 in Frankfurt am Main an den Städtischen Bühnen uraufgeführt.
Worum geht es? Ein frisch verheiratetes junges Paar feiert Hochzeit mit Freunden und Familie. Um Geld zu sparen, findet das Ereignis in der Wohnung der Brautleute statt. Der besondere Clou: Der Bräutigam hat in eifriger Heimarbeit das gesamte Mobiliar selbst gezimmert und sogar den Leim eigenhändig angerührt. Der Abend fängt relativ zivilisiert an, mit gesitteten Reden und Lobpreisungen der hereingetragenen Speisen. Doch langsam - parallel zum steigenden Alkoholpegel - läuft so manches aus dem Ruder. Der Vater der Braut geht mit seinen endlosen Anekdoten den anderen Gästen auf die Nerven, ein Ehepaar am Tisch giftet sich immer wieder an, die Tanzeinlagen sind auch nicht jedermanns Freude. So moniert hier der Bräutigam das hemmungslose Verhalten seiner Frau. Und - last but not least - halten die frisch gezimmerten Möbel den Belastungen nicht statt und gehen nach und nach aus dem Leim.
Hans-Ulrich Becker inszenierte in der letzten Spielzeit Kreise/Visionen von Joel Pommerat am Düsseldorfer Haus (theater:pur-Rezension siehe hier). Jetzt weihte seine Inszenierung von Brechts Kleinbürgerhochzeit die Alternativspielstätte „Central“ am Düsseldorfer Hauptbahnhof ein.
Schon beim Zuschauereinlass lassen die frisch Vermählten die Korken knallen. Auf der Bühne sehen wir eine festlich gedeckte Tafel, über den Stühlen des Brautpaares schweben zwei rote Luftballonherzen. Am rechten Bühnenrand steht ein Keyboard mit bunter Lichtanzeige. Die eintreffenden Gäste werden mit einem Begrüßungslied „Heute feiern wir unsere Hochzeit“ empfangen. Viola Pobitschka ist die Braut, Hochsteckfrisur und Nerd-Brille lassen sie bieder erscheinen. Der Bräutigam (Moritz von Treuenfels) im schwarzen Anzug ist eisern entschlossen, zu gewährleisten, dass alles seinen geordneten Gang zu gehen hat. Gerade, wenn etwas schief geht, versucht er immer wieder, mit einem gewollt herzlichen Liedchen („Und jetzt ein Prost, alter Kunde“) die Stimmung zu retten. Die Gäste sind köstlich skurrile Charaktere, die die Schauspieler äußerst genau und mit viel Spaß, auch an Slapstickeinlagen, gestalten. Christiane Rossbach ist die „herzige“ Mutti des Bräutigams, die stolz die verschiedenen Gänge hereinträgt, so den Kabeljau oder die Crème. Immer wieder zupft sie etwas zu viel an ihrem Sohn herum. Der Vater der Braut (Marcus Calvin) ist penetrant bemüht, seine alten Geschichten zu erzählen. Luisa Stroux und Lutz Wessel spielen ein Ehepaar, das seine privaten Streitigkeiten auch bei dieser Feier austrägt (sie, als er eine Rede halten will: „Wenn du was halten willst, dann bitte deinen Mund“). Der Freund des Bräutigams (Dirk Ossig) hält eine ganz und gar nicht gediegene Rede. Die Feier entgleist immer mehr, das Chaos nimmt zu, ein Möbelstück nach dem anderen geht zu Bruch.
Alles wird jedoch höchst amüsant und flott gespielt, musikalische Einlagen sind vergnüglich eingestreut, die Schauspieler allesamt gut aufgelegt. Irgendwie kommt manchem Zuschauer sicher so eine Feier mit Menschen, die sich nicht allzu viel zu sagen haben und deren familiäre Beziehungen nicht sehr intensiv sind, bekannt vor. Dass die Braut schwanger ist, stört heute wenige, was sicher zur Entstehungszeit des Stückes anders war.
Ein sehr lockerer, unterhaltsamer Abend, eine witzig komponierte Farce – nicht mehr und nicht weniger.