Übrigens …

Die Ereignisse im Köln, Theater Der Keller

Trauerarbeit

Zunächst der Hinweis auf eine eher belanglose Koinzidenz: Tobias Flemming hat vor kurzem im Staatenhaus Benjamin Brittens Oper The Rape of Lukretia ausgestattet: großer, archaisch wirkender Bühnenraum, dominiert von einem riesigen Wasserbecken. Im Keller-Theater lässt sich speziell auf den wenigen Quadratmetern der „oberen Bühne“ nur wenig machen: jetzt also eine Bettstelle (beim Psychiater zu denken) ganz hinten, in der Mitte ein Standmikrophon (mitunter etwas aufdringlich benutzt) genügen für David Greigs Die Ereignisse. Das bedeutet optisch allerdings kein Nachteil, wie er - bei offensichtlich ähnlichen räumlichen Verhältnissen - der Aufführung am Wiener Schauspielhaus (11/2013) attestiert wurde.

Den beiden genannten Kölner Aufführungen – Lukretia und Ereignisse – eignet trotz des gleichen Ausstatters also keine Gemeinsamkeit im Visuellen, andererseits lassen sich beide Bühnenwerke auf die Kölner Silvester-Ereignisse projizieren. Bei der handlungshistorischen Oper ergibt sich das eher zufällig. Greigs Schauspiel nimmt hingegen Bezug auf die Ereignisse um den norwegischen Amokschützen Anders Breivik am Juli 2011 auf der Insel Utoya, auch wenn diese Ereignisse nicht minutiös aufgearbeitet werden. Aber eine Bezugnahme zum Heute sollte wohl doch unmissverständlich sein. Andererseits führt der ungewöhnliche Einsatz von Chor zu einem versachlichenden Blickwinkel. Eine überhöhende Kommentarfunktion wie im Drama des antiken Griechenland wird dabei aber nicht angestrebt.

Es gibt eine zentrale Realfigur bei Greig. Es ist Claire, Leiterin eines Kirchenchores. Dass sie Lesbe ist, setzt bei einer Diskussion über die Frauensituation in fernöstlichen Ländern zwar einen informativen, freilich leicht reißerischen Akzent. Die Mitglieder des Chores werden Opfer eines jugendlichen Fanatikers. Claire als einzig Überlebende verfällt nicht einer Depression, sie macht sich auch nicht zu einem Rachefeldzug auf, sucht vielmehr nach einer human verständlichen Erklärung: „Wie kann ich ihn hassen, wenn ich ihn nicht verstehe?“ Wie diese Erklärung aber finden bei einem Menschen, der von sich sagt: „Die einzigen Mittel, die ich habe, sind Kunst oder Gewalt.“

Das mit der „Kunst“ wird zwar nirgends so recht erklärt, aber der Ausspruch suggeriert doch auf beklemmende Weise die Haltung eines Fanatikers. Greigs Absicht ist es freilich nicht, psychologisch stichhaltige Analysen eines schrecklichen Vorgangs zu liefern, er schildert vielmehr den tiefgreifenden Widerhall der Ereignisse in Claire, die von sich sagt: „In diesem Moment habe ich gespürt, wie meine Seele den Körper verlassen hat. Sie ist seitdem nicht mehr wiedergekehrt.“ Zu einem Gespräch mit dem Täter (sei es real, sei es fiktiv gemeint) nimmt sie einen Giftbecher mit, lässt ihn aber dann doch fallen, als ihr Gegenüber den vermeintlichen Tee zu trinken willens ist.. Das Ende des 75minütigen, pausenlosen Abends signalisiert Hoffnung. Claire mit ihrem Glauben an das Gute im Menschen wird versuchen, ihre Chorarbeit fortzusetzen.

Trotz der limitierten Spieldauer  wirkt das Stück mitunter etwas redselig, und auch Heinz Simon Kellers grundsätzlich sehr stringente Inszenierung hat ihre Schwachstellen. So gönnt sie Claire (Susanne Seuffert) im Grunde nur einen tragischen Einheitston, bei aller modulatorischen Variabilität der Darstellerin. Markus Penne hat es etwas leichter, weil er in viele unterschiedliche Rollen schlüpfen kann (Täter, dessen Vater, Psychiater u.a.) – und er tut es mit Verve.

Der Chor ist für den britischen Autor eine konzeptionelle Bedingung. Er wünscht sich sogar (und das wurde bei den bisherigen Produktionen wohl auch weitgehend realisiert) einen personellen Austausch von Aufführung zu Aufführung. Wenn aus der 13köpfigen Singgemeinschaft „Nachtigall & Lerche“ die „Getöteten“ ihre Lebenssituation und -daten referieren, verbreitet sich Beklemmung. Aber dem weiteren (auch musikalischen) Einsatz des Chores vermag zumindest der Rezensent nur wenig abzugewinnen. Gleichwohl: ein thematisch wichtiges Stück hat nun auch Köln erreicht, ein Stück - so der Londoner Guardian nach der Edinburgh-Uraufführung im August 2013 -. „das es wagt, in die Dunkelheit in uns allen zu blicken und nach einem Funken Licht zu suchen.“