Übrigens …

Die Wupper im Schauspielhaus Düsseldorf

Und die Else ist immer dabei

Das inzwischen 81 Jahre alte Regie-Urgestein Roberto Ciulli hat jetzt am Düsseldorfer Schauspielhaus eine sinnlich beeindruckende und fast wortlos verlaufende Version von Else Lasker-Schülers Drama Die Wupper auf die Ausweichbühne im „Central“ gebracht. Die meisten Schauspieler hatte Ciulli dafür aus seinem Mülheimer Theater an der Ruhr mitgebracht. Ebenso seinen Bühnenbildner Gralf-Edzard Habben, der die riesige Spielfläche lediglich mit einem guten Dutzend Stühle, einigen leeren Benzinfässern und im Hintergrund einem blauen Klavier als Hommage an die in Wuppertal geborene deutsch-jüdische Autorin ausstaffiert hatte. Die Stühle in der Ciulli-Version des selten inszenierten Stücks sind eine Huldigung an die weltberühmte Choreographin Pina Bausch und ihr Stück "Café Müller".

Wunderbar die Szene noch vor dem eigentlichen Start der gut zweistündigen Inszenierung. Da sitzt Ciulli mit zwei jungen Frauen zu seinen Füßen und erzählt leise kurze Episoden aus dem Leben der am 11. Februar 1869 geborenen Bankierstocher Lasker-Schüler, die als kleines Mädchen immer auf ihre geliebte Mutter wartete, so überhaupt keine Bücher lesen mochte und oft unter Langeweile litt. Und er erzählt auch davon, dass sie, als ihre Mutter früh stirbt, erklärt: „Wie meine Mutter starb, zerbrach der Mond“. Alleine mit dieser Einführung hat der große Regisseur und Mime Ciulli das Publikum schon auf seine Seite gezogen.

Für den Theatermacher, der nach 35 Jahren erstmals wieder in Düsseldorf inszenierte, ist Die Wupper eigentlich ein nicht spielbares Stück. Und doch gelingt es ihm, ohne ins Kitschige oder in melodramatische abzugleiten. Das Stück erzählt in kurzen Episoden vom Niedergang der Industriellenfamilie Sonntag und der Proletarierfamilie Pius. Ciulli stellt die Schauspieler wie Spielfiguren vor und lässt sie wieder abtreten. Kurios dabei: Es wird so gut wie gar nicht auf der Bühne gesprochen. Die Texte kommen aus dem Off, als Hörspiel. Die Spieler auf der Bühne bewegen nicht einmal ihre Lippen. Daran muss man sich als Zuschauer gewöhnen, nicht wenige verweigerten sich bei der Premiere und verließen den Theatersaal während der Aufführung.

Else Lasker-Schüler ist in Düsseldorf von der ersten bis zur letzten Minute mit auf der Bühne. Ciulli schlurft als alte Else mit blauem Kleid, rot geschminkten Lippen, Hütchen und Handtasche über die Bühne, sitzt mal nur neben einem großen Kinderwagen, spielt ein wenig auf einer Blockflöte, füttert pantomimisch eine Vogelschar oder gießt blaue Papierblüten. Wunderbare kleine Momente, in denen man innehalten kann und die vom Regisseur ganz bewusst eingesetzt werden. Will er doch zeigen, wie die Autorin 1945 als Migrantin fast vergessen und verarmt in Jerusalem lebend sich an ihr Stück erinnert, das immerhin schon 1909 entstanden ist.

Das Stück thematisiert vor allem die verklemmte Sexualität und deren Anarchie, die Annäherung von Großbürgertum und Proletariat am Ende der en, die Stellung der Religion und das Thema Armut am Beispiel dreier Ausgestoßener. Alles dreht sich in den Familien um Sex. Da ist Heinrich, der auf kleine Mädchen steht und das Waisenkind Lieschen vergewaltigt. Die Witwe des Fabrikbesitzers, die mit dem Dienstmädchen herummacht, der zweite Sohn, der ebenfalls pädophile Neigungen hegt, der evangelische Theologiestudent, der seine Sexualität nicht im Griff hat, und die drei Herumtreiber, die ständig in sexuellen Anspielungen kommunizieren. Einer von ihnen ist zudem ein Exhibitionist.

Mehr als starker Tobak in der Zeit des Entstehens dieses Dramas und starker Tobak auch gut 100 Jahre danach auf der Bühne in Düsseldorf. Dabei steht das blaue Klavier immer als Sehnsuchts-Deko nach einer Welt der Kunst in einer zunehmend verrohenden Umwelt. Und es ist gleichzeitig immer auch eine Trennwand zum Publikum. Spielen sich die sexuellen Handlungen - mal lustvoll, mal demütigend, mal quälend - doch immer dahinter ab. Bis auf die Szene, wo Heinrich Lieschen vergewaltigt und sie dabei zu Tode würgt. Heinrichs Selbstmord indes muss man sich denken, wie so vieles in diesem Stück, das nur angerissen wird.

Für Zuschauer, die sich vor dem Theaterbesuch weder mit der Autorin noch mit dem Stück beschäftigt haben, ist es schwer, das Geschehen auf der Bühne nachzuvollziehen und einzuordnen. Schwer auch die eingestreuten Gedichte, die der unentwegt fidelnde „gläserne Amadeus“ zitiert. Ganz am Ende taucht ihre über alles geliebte Traumfigur eines mit Federn geschmückten Wüstenprinzen auf und spielt ein paar Akkorde auf dem blauen Klavier. Traurig, traumhaft und verstörend dieser Theaterabend, der im Untertitel als Performance bezeichnet wird. Der Applaus für Regie, Bühne und Darsteller war nicht wirklich überzeugt, eher ratlos. Ab dem 25. Februar wird das Stück auch im Theater an der Ruhr in Mülheim gespielt.