Der Schlächter im feinen Flanell
Es scheint so einfach. Man nennt ihn den „Schlächter von Lyon“ – und das Urteil ist für alle Zeiten gesprochen. Spritzt da Blut? Sieht man Fallbeile niedersausen? Nichts dergleichen. Aber die Realität, die hinter dem griffigen Urteil steckt, ist viel raffinierter und tiefgreifender. Die Rede ist von Klaus Barbie, der als Gestapo-Kommandant von Lyon traurige Berühmtheit erlangte. In Frankreich gleich zweimal in Abwesenheit zum Tode verurteilt, erlebte er schließlich in Lyon sein „lebenslänglich“, nachdem er lange Jahre in Bolivien untergetaucht und dort offizieller Berater despotischer Regime war. Barbie steht für Verbrechen, die als folgerichtig erscheinen, sieht man sich den Lebenslauf des 1913 in Bad Godesberg geborenen und 1991 in der Haft in Lyon gestorben SS-Mannes an. Denn aus seiner Sicht erscheint seine mörderische Existenz als logische Folge historischer und persönlicher Koordinaten.
Auf der „Central“-Bühne, Düsseldorfs Ausweichspielstätte, sitzt er im dunkelgrauen Zwirn, mit weißem Hemd und Krawatte. An einem Holztisch, auf einfachem Stuhl. Inmitten eines durch Neonlichter erhellten Kubus. Andreas Grothgar ist Klaus Barbie. Nichts Mephistophelisches lässt ihn als einstigen Bluthund erkennen. Es folgt die autobiographische Schilderung einer Existenz, für die das, was er tat, normal war und ist. Die Geschichte hat ihn zu dem geformt, der er wurde: Zu einem Menschen, der inmitten eines Unrecht-Staates alles als richtig erlebte, was diesem Staat diente.
Wie er wurde, was er war, zeigt Grothgar auf ebenso normale wie Untiefen erkennbar machende Art. Barbie – das ist, wie er zu Anfang mit leichter Ironie wissen lässt, ein Name französischen Ursprungs. Als Hugenotte sieht er sich, als Abkömmling einst verfolgter Protestanten, die aus dem Land flohen, in dem er es Jahrhunderte später zu zweifelhafter Berühmtheit gebracht hat. Dabei ist er, wie er betont, doch gar „kein fanatischer Antisemit (…) Aber nach dem Krieg bin ich es geworden“. Dann nämlich, als er erlebte, dass es vor allem Juden waren, die ihm auf den lateinamerikanischen Fersen klebten und zu Fall brachten. Beate Klarsfeld an ihrer Spitze, das „kleine Mädchen“, das er so gar nicht versteht: „Sie ist doch Deutsche“.
So erzählt er, räsoniert und verstrickt sich in seine eigene, ihm gefällige Logik. Wenn er schließlich auf die Nachkriegs-Zeit zu sprechen kommt, in der er für die Amerikaner, später gar für den deutschen BND tätig war, ohne dass man ihm einen Strick aus seiner Vergangenheit gemacht hätte, fällt das Negativ-Urteil vor allem auf Amerika und den Westen, dem alles genehm war, was ihm gegen den Kommunismus diente.
Die Bühnen-Uraufführung dieses 80 Minuten langen Monolog-Textes von Leonhard Koppelmann, der auf Recherchen von Peter F. Müller fußt und die der Autor selbst ohne viel Firlefanz auf die Düsseldorfer „Central“-Bühne gebracht hat, überzeugt gerade wegen ihrer scheinbaren „Neutralität“. Aus ihr heraus erwächst wesentlich intensiver das Bild eines Mannes, dessen scheinbare Normalität viel erschreckender ist als der Gedanke an einen „Henker“.
Ein Massenmörder, der wegen seiner Erfahrungen nach dem Jahrhundert-Verbrechen Despoten in Südamerika und später den hysterischen Kalten Kriegern im Westen ein wichtiger Berater und Partner war – das ist das wirklich Erschreckende an der Geschichte des „Schlächters von Lyon“.