Richard III. im Moers, Schlosstheater

Aus der Trommel robbt im Wahnsinn Dirty Rich

Erinnern Sie sich noch? Damals bei Schlachten!, Luk Percevals Digest aus sämtlichen Shakespeare’schen Königsdramen, gab Thomas Thieme den Richard - als Solo, ganz am Ende der furiosen 12stündigen Show. Im dunklen Anzug – die ersten englischen Könige dieses Abends waren noch herumgelaufen wie Wilde. Aber sie hatten eine feine aristokratische Sprache gesprochen. Der noble dritte Richie war 100 Jahre später zu einem Monster im Frack mutiert, er manschte mit dem Essen ebenso herum wie mit der Sprache, erschuf aus Shakespeare ein Fäkaldrama und hieß nicht zu Unrecht „Dirty Rich Modderfocker der Dritte“. Ein Gangster war er – und ein Verrückter, von Anbeginn an.

Jetzt, in Moers, im dunklen engen Verlies des Schlosstheaters, bringt Richard III. höchstens halb so viel Kilo auf die Waage wie weiland Thomas Thieme, und er trägt nicht Anzug, sondern Clownshosen. Ein zartes Persönchen ist er, optisch zumindest. Charakterlich nicht: „Ich bin böse“, ruft Richard immer wieder, und wie er das ruft, klingt es wie ein kleines unerzogenes Kind, das stolz ist, von einem Teufelchen besessen zu sein. „Gänzlich ohne Liebreiz“ sei er, sagt Richard von sich – und wird doch gespielt von einer jungen Dame, die wir eigentlich als ziemlich hübsches Mädchen in Erinnerung haben. Von hübsch kann heute nicht die Rede sein: Mit den strähnigen Haaren, den unförmigen grauen Klamotten und der Gemeinheit im Blick ist Marissa Möllers Richard böse – und vor allem ein Verrückter, von Anbeginn an.

Möllers erster Auftritt zeigt das schon: Da robbt sie bäuchlings aus der Trommel der riesigen Waschmaschine, die am Ende einer schrägen runden Spielfläche die Bühne dominiert. Sie robbt hinaus, leckt den Fußboden sauber und springt auf einen Schrank. Ein Tier – noch wissen wir nicht, ob ein gehetztes oder ein lauerndes. Wo solche Kreaturen auch nur die Spur einer Chance auf politische Machtübernahme haben, da ist nicht nur was faul im Staate, sondern da ist die ganze Welt aus den Fugen. Und keiner ist da mehr, der geboren ward, sie wieder einzurenken. Buckingham nicht, der, anfangs noch Richards Getreuer, sich später gegen ihn stellt – und auch Richmond nicht. Denn am Ende der mehr als dreieinhalb Stunden, wenn Dirty Rich endlich tot ist, steht Marissa Möller wieder auf. Und gibt den Richmond – Dirty Rich Modderfocker den Vierten, oder den Viertelvorzwölften oder den wievielten auch immer. Die Herrschaft der Bekloppten höret nimmer auf, Idi Amin sei unser Zeuge, aber auch Putin oder Robert Mugabe oder Evo Morales, Kim Jong-un oder Berlusconi. Jeder auf seine Weise, der eine schlimmer als der andere, aber alle gleichwohl unerträglich.

Wer jetzt aber glaubt, in Moers gebe es eine große, stringente politische Inszenierung zu sehen, der hat sich getäuscht. Die eine oder andere politische Aussage steckt schon drin, das ist wahr, aber über weite Strecken der ein wenig zu lang geratenen Inszenierung sehen wir einen großen Karneval des Splatter-Genres und der Horror-Komik, der vor allem nach der Pause in eine Etüde über die Spielarten des Wahnsinns mündet. Vor der Pause werden Gags und Splatter manchmal auf eine Weise übertrieben, die die Grenze zur Peinlichkeit streift. Wobei man immer wieder hin- und hergerissen ist zwischen dem Lachen über witzige Kalauer, dem Ärger über den einen oder anderen wie ambitioniertes Laientheater wirkenden Versuch, die Banalität und den Unterhaltungswert des Bösen darzustellen, und den herausragenden Leistungen des Moerser Ensembles.

Das besteht traditionell aus fünf Personen – und mit denen mache man mal einen Richard Drei! Das Mädel Marissa gibt den Richard, und vier Männer teilen sich fünfzehn andere Rollen, Lady Anne, die Herzogin von York, Margaret und Elisabeth inklusive. Da ist zwangsläufig viel Travestie im Spiel. Und das wirkt überhaupt nicht peinlich, denn Frank Wickermann, Patrick Dollas, Holger Stolz und Matthias Heße beherrschen den Frauentausch grandios. Sie spielen lustig, aber, unterstützt von den aberwitzigen Kostümen Michaela Springers, mit der nötigen Distanz zum Kabarett. Wickermann legt eine großartige Königs-Witwe Margaret aufs Parkett. Als Edward IV. sieht er aus wie eine Monty Python Version von Muammar al-Gaddafi – noch so einer, der in die Riege der bekloppten Staatsführer gehört, in die sich der Moerser Richard passend einreiht. Edward hat ein Pin-up-Girl in seinem Spind und krepiert elendig an Blähungen, was ganz witzig wäre, wenn die Flatulenz nicht so endlos zelebriert würde. Auch Matthias Heße hat vier grundverschiedene Rollen zu bewältigen, und er beweist dabei wieder einmal, dass er zu den spielfreudigsten, variabelsten Schauspielern Nordrhein-Westfalens zählt: Sei es der finstere Mörder Tyrrell, sei es der bebrillte Hastings, dessen Lockenkopf der Schleifmaschine zum Opfer fallen wird, sei es als Elisabeth mit ultrabreiter Halskrause und einer Hochsteckfrisur, die wirkt, als hätte sie Victoria Behr für einen Herbert-Fritsch-Klamauk entworfen – dieser Matthias Heße ist immer eine Show und rettet noch die ekligsten Momente des blutigen Abends.

Marissa Möller hat (mit Ausnahme der Schluss-Szene) nur einen einzigen Charakter darzustellen. Die Rollenwechsel von Heße, Wickermann, Dollas und Stolz sind für die Schauspieler anstrengend, aber sie machen zweifellos auch Spaß. Was Möller dagegen leisten muss, ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Die junge Schauspielerin stellt sich selbst vor stimmliche, sportliche und emotionale Herausforderungen, die um ihre Gesundheit fürchten lassen. Sie turnt wie Hambüchen, kiekst wie Sophie Rois, gurrt wie ein Taube, schreit wie ein Psycho in der Zwangsjacke, sie wirbt, sie fleht, sie intrigiert – man muss ihre (von der Regie vorgegebene) Interpretation des Richard nicht mögen, aber ihre schauspielerische Leistung ist zutiefst beeindruckend. Vor allem nach der Krönung Richards bricht das Psychopathische ihrer Figur immer stärker durch. Richards wachsendes Misstrauen steigert seine Mordlust. Reihenweise werden die Figuren um die Ecke gebracht – und diese Ecke ist in Ulrich Grebs Inszenierung die erwähnte gigantische Waschmaschine. Wer stirbt, wird in die große Trommel verfrachtet, und kaum setzt der Schleudergang ein, schäumt rotes Blut aus dem Ablaufschlauch, der mitten auf der schrägen runden Spielfläche mündet, die so zur blutigen Agora des Terror-Regimes wird.

Das wäre eine wunderbare, böse Metapher, doch leider zielt die Inszenierung allzu sehr auf Witz und Klamauk, auf Horror- und Splatter-Ästhetik. Dabei ist das Ende eigentlich zutiefst pessimistisch. Es zeigt die Metamorphose des Rich III.: „Lang lebe Richmond, Englands König“, ruft Marissa Möller in Ermangelung anderer Jubelperser. Der Dämon ist tot, es lebe der Dämon. Und zu heiterer Kaufhausmusik sprudelt lustig das Blut aus dem Springbrunnen.