Übrigens …

Die Nibelungen im Schauspielhaus Düsseldorf

„Das hohe Lied der Deutschen Nation, der gewaltigste aller Gesänge von Deutscher Kraft und Deutscher Treue“ (Hebbel)

1853 sah Friedrich Hebbel im Wiener Burgtheater das Stück Der Nibelungenhort von Ernst Raupach. Ihm sagte die Dramatisierung eines im 19. Jahrhundert in Mode gekommenen Stückes nicht zu, er empfand sie als unzureichend. So begann er, eine neue Bearbeitung zu schreiben, um „den dramatischen Schatz des Nibelungen-Liedes für die reale Bühne“ zu heben. In fünf Jahren entstand seine Trilogie Die Nibelungen: Der gehörnte Siegfried, Siegfrieds Tod und Kriemhilds Rache. Hebbels Bearbeitung des Stoffes enthält psychologische Aspekte, die über die mittelalterliche Vorlage weit hinausgehen. Er greift auf eine Episode der nordischen Völsungasaga zurück und stellt Brunhild in den Mittelpunkt, die stärkste Frau im Universum, die sich mit Siegfried, dem stärksten Mann, verbunden sehen will. Ganz so, wie es die Götterwelt der Vorzeit vorschrieb. Doch die Handlung folgt nicht diesen mythologischen Gesetzmäßigkeiten. Siegfried ist eine Figur der modernen Welt, in der das Individuum seine Interessen bewusst verfolgt. Für Hebbel ist Siegfried ein Liebender von Anfang an. Auch Kriemhild, letztlich der Dreh- und Angelpunkt des Epos, ist eine schicksalhaft Liebende. Ihre Rache ist nur eine Konsequenz dieser Liebe. Und eine Folge des Betrugs. Gunther, Siegfried und Hagen betrügen Brunhild. Kriemhild erlebt ihre zweite Ehe mit Etzel als Vergewaltigung, Brunhild ihre vermeintliche Hochzeitsnacht mit Gunther. Die Männer reduzieren die beiden Frauen auf das Niveau von Tauschobjekten. Kriemhild übt Rache, indem sie den Nibelungenhort als Preis in Aussicht stellt und mit Gold und der Armee ihres Gatten Etzel ihre blutrünstigen Ziele zu verwirklichen sucht. Betrug, Rache, Verrat und Mord treiben die Handlung voran und münden im Untergang.

In Düsseldorf hatten der Regisseur Dietrich Hilsdorf und der Dramaturg Oliver Held aus der ursprünglichen Trilogie eine sehr geraffte Fassung geschaffen. Hilsdorf erkrankte und Kurt Josef Schildknecht sprang als Regisseur ein. Seine Inszenierung Terror von Ferdinand von Schirach war und ist ein großer Erfolg am Düsseldorfer Haus. An dem Nibelungen-Stoff reizt ihn die Frage, was passiert, wenn Menschen ohne Kompromisse ihren Interessen folgen: „Wenn jeder auf seiner Ansicht besteht, geht man im Chaos unter.“

Die Bühne wird von einer großen, schmucklosen Wand dominiert, die je nach Position (sie wird oft auf Rollen verschoben, ein Tor öffnet und schließt sich) verschiedene Räume erschließt. Zuweilen dient sie auch als Projektionsfläche. So werden im zweiten Teil Videos von Kriegsszenen, zum Beispiel aus dem Irakkrieg, gezeigt. Der intendierte Bezug zur Gegenwart will aber nicht klappen. Es wird viel deklamiert an diesem Abend, mit großen Schwertern laut auf den Boden oder martialisch gegen die Wand geschlagen – um männlich-kämpferisches Gebaren zu demonstrieren. Sicher, die Geschichte wird klar erzählt. Viele Zuschauer fühlten sich an ihre Jugend erinnert, in der sie den Nibelungenstoff kennen lernten. Die lange Tafel der Edelleute, die großen Schalen, in denen Feuer entzündet werden, die theatralisch mit Kajal umflorten Augen der Darsteller – all das passt zu einem Ritterspektakel. Doch was sagt es uns hier und heute?

Den Schauspielern kann man die absolut nicht fesselnde Wirkung der Inszenierung nicht ankreiden. In historisch anmutenden Kostümen erinnern sie aber zu oft an Statisten, die auf ihr Stichwort warten. Positiv fallen jedoch auf: Jakob Schneider als König Gunther, der als schwacher Mann nur mit Hilfe Hagens und Siegfrieds sein Ziel, Brunhild zu freien, erreicht. Hanna Werth ist eine tobende Brunhild, die in einem Käfig auf die Bühne geschoben wird. Glaubhaft ihr rasender Zorn, als sie des Betrugs gewahr wird. Tanja Schleif überzeugt als Kriemhild. Sie stellt deren Entwicklung von einer jungen, liebenden Frau zu einer systematisch die Vernichtung ihrer Feinde planenden Rachegöttin intensiv dar. Kurz vor Vollendung ihres Triumphes über die Nibelungen sagt sie: „Es war diese Stunde, auf die ich hoffte.“ Moritz Führmann spielt Hagen von Tronje. Beeindruckend als argwöhnischer, skrupelloser Vasall Gunthers, so in der Szene, in der er Siegfried (Heisam Abbas) auffordert, Brunhild im Schlafgemach für Gunther zu unterjochen.
Gegen Ende kommt es zum Showdown auf Etzels Burg. Es wird viel geschrien, Scheinwerfer flackern, blutüberströmte Krieger stehen an der grauen Wand aufgereiht.

Es lässt einen merkwürdig kalt, man betrachtet das Schauspiel und wird nicht berührt.