Übrigens …

Wir sind keine Barbaren im Schauspielhaus Düsseldorf

Wenn ein Klischee das nächste jagt

Als wären wir in den 70-ern des letzten Jahrhunderts, feiert die Wohnlandschaft fröhliche Urständ. Alles ist gepolstert. Die Spielfläche im „Central“, der Ausweichspielstätte des Düsseldorfer Schauspiels, besteht aus hellbeigen Kissen, Polstern und Watteboden. Das Karree erscheint als wahre Kuschelwelt, wären da nicht die verbalen und psychischen Stolpersteine eines Ehepaars. Das Ganze ist spürbar sturz-, am Ende gar einsturzgefährdet. Dabei heißt doch der Abend: Wir sind keine Barbaren! Achtung: Ironie!

Auf unsicherem Boden stakst Barbara auf Stöckelschuhen umher. Hier lebt sie mit Mario. Aus dem einstigen Tiger im Bett ist ein schnurrender Kater geworden. Man lebt mehr schlecht als recht zusammen. Ihr Geburtstag bringt es an den Tag: Statt des erwünschten Super-Bikes bringt er einen TV-Flachbildschirm, Marke Kino-Leinwand, ins Haus. Dass sie am Ende unter dem herabstürzenden TV-Monster ihr blondgelocktes Leben aushaucht, hätte man sich fast denken können.

Das anfängliche Schein-Idyll endet in einem heftigen Stöhnen: Die Nachbarn sind offenbar mit dem beschäftigt, was Barbara und Mario so gerne hätten: Sex. Kaum ausgestöhnt, bricht das Erotik-Duo auch schon laut und prollig ins weiche Leben Barbaras und Marios. Bekannt machen wollen sie sich, Prosecco trinken. Prollige wie ironisch spitze Gesprächsfetzen springen wie Tennisbälle hin und her.

Doch die Vier bleiben nicht allein im Stück Autors Philipp Löhle. Immer wieder wird das Quartett-Gebrabbel abgewürgt, ständig fällt ihm ein 22-köpfiger „Heimatchor“ ins Wort. Der hatte bereits zu Beginn, noch ehe ein Wort gefallen war, das Deutschland-Lied vor sich hin gesummt.

Später wurde das „WIR“, stark betont und ständig wiederholt, zu seinem Markenzeichen. Das „Wir“ wird gegen „die Anderen“ in Stellung gebracht – und dabei Klischee an Klischee gereiht. Die Zweiundzwanzig, eine Mischung von Kindern, erwachsenen Männern und Frauen, stehen wohl stellvertretend für uns alle. Na prima, schließlich werden wir alle über den Kamm des Fremdenhassers und Islamophoben geschoren. Wer nicht in Jubel ausbricht angesichts der Flüchtlingsströme, über dem schwebt der Knüppel nazistischer Unmenschlichkeit.

Soweit, so mittelschichtig-spießig. Dann aber wird`s ernst und das Klischee-Schütteln erreicht eine neue Ebene: Ein Fremder klopft bei Barbara an. Ein Flüchtling? Ein Migrant? Ein Asylsuchender? Nichts davon weiß sie, nichts erfahren wir über den mal Bobo, mal Klint genannten Afrikaner. Oder ist er Asiat, vielleicht doch Araber? Auftauchen wird er nie. Aber da er für Barbara eine „Metapher“ ist, scheint die Realität auch weniger wichtig. Sie ist sofort Feuer und Flamme. Sie nimmt den Fremden auf, umsorgt ihn, verteidigt ihn, schläft wohl auch mit ihm. Dass das Duo Barbara und Linda bei der Frage nach der Penis-Länge des dunkelhäutigen Gastes in verschämtes Reden und kleinmädchenhaftes Gackern ausbrechen, soll wohl die Verklemmtheit europäischer Frauen zeigen.

„In diesem Menschen ist so viel Schmerz“. Diese und ähnliche Gefühlsaufwallungen müssen sich Mario, Linda und Paul von Barbara nun permanent ins schlechte Gewissen pusten lassen. Wenn da keine Tränen fließen! Mies sind eben alle. Alle die, die sich den Gast erst einmal ansehen möchten, die differenzieren, nachdenken. Die vor Naivität warnen und bestrebt sind, mit Nüchternheit die Flüchtlingssituation menschlich zu lösen. Was Löhles Stück zeigt, geriert sich, im Zeichen der Kunst, als einzig menschliche Art, mit Flüchtlingen umzugehen. Arroganter geht`s kaum.

Löhles Stück wie Mona Kraushaars Inszenierung sind zudem ein Spiegelbild unserer politischen Kaste, die alle Bedenken hinwegfegt, berechtigte Fragen in die immer gleiche Ecke steckt und damit das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen will: den Verstand für das Mögliche einzuschalten. Stattdessen wird uns an diesem Abend einmal mehr die Ideologie derer übergestülpt, die Selbstaufgabe predigen, ohne sich selbst der Verantwortung zu stellen.

So ist es auch nur billig und wohlfeil, dem Klischee-Salat und Moralisieren befreit hinterher zu jubeln. So geschehen nach neunzig Minuten- mit langem, zeitweise frenetischem Applaus in Düsseldorf.