Übrigens …

Im Westen nichts Neues im Theater Duisburg

Kriegshölle im weißen Salon

Eine Adaption des berühmtesten Anti-Kriegsromans über den Ersten Weltkrieg auf der Bühne. Was erwarten wir? Schützengräben, Kanonendonner, Maschinengewehrfeuer, Granattrichter, Giftgasschwaden? Blutende, schreiende Männer?

Stattdessen: ein großer, vornehmer weißer Salon, in der Mitte ein weißer Flügel, auf dem gleich die versonnen-stilvolle „Muse“ (Katja Gaudard) in bodenlangem weißen Gewand den Charme der klassischen Salonmusik zu Gehör bringen wird. An den Wänden Unmengen klassizistischer Bilderrahmen in Petersburger Hängung – Erinnerungsstücke einer vergehenden Bürgeridylle - doch die Rahmen sind leer: es bleibt viel Raum, sie mit den aufkommenden Bildern der Verwüstung zu füllen. Und dazwischen prangt an der Rückwand des Raumes über dem Zugang zu einer Art Veranda der Wahlspruch vieler Heere, den sie seit der Antike auf ihren Standarten und Fahnen mit sich führen: PER ASPERA AD ASTRA. Doch es dauert nicht lange, bis das Motto sich als böse Ironie entlarvt: diese Jugend wird nicht durch das Rauhe zu den Sternen geführt, sondern aus der scheinbaren Geborgenheit der Kulturgesellschaft in die mörderische Rauheit des Krieges, der Verrohung und Vernichtung. Das Motto kehrt sich um: Aus der leuchtenden Idylle wird die Kriegshölle.

Es waren die falschen vaterländischen Mythen, die die Jungen von der Schulbank weg auf die Schlachtfelder lockten. Doch Remarque beginnt nicht mit der propagandistischen Macht der Ideologien, sondern mit der ernüchternden Alltäglichkeit des Hungerns und Sattwerdens der jungen Soldaten. Es sind die ernüchternden Banalitäten des Lebens und Überlebens, mit denen das Buch und auch die Bühnenfassung beginnen, unter denen die Träume von heroischem Kämpfertum längst begraben sind. „Weshalb ist denn überhaupt Krieg?“ fragt einer der Jungen. „Es muss Leute geben, denen Krieg nützt.“

Lars-Ole Walburgs Inszenierung bleibt ganz nah am Romantext, in dem einer der fünf verführten Jugendlichen, Paul Bäumer (Jonas Steglich), im Mittelpunkt steht, und doch in dieser Inszenierung nur einer der Vielen ist. Man spricht immer wieder im Chor: der Krieg entpersönlicht, die Individualität weicht Egoismen und Verrohungen. Hart, scham- und mitleidslos setzt man sich durch, erfindet seine eigene „Moral“, bestielt die Toten, mordet den Gegner. Der theatralische Kunstgriff des Regisseurs besteht darin, dass nicht wir aufs Schlachtfeld geführt werden, sondern der Krieg in die Zivilgesellschaft einbricht: der Salon wird zur Kriegshölle. Schlamm stürzt herein, „Blut“ ergießt sich eimerweise, Farbmatsch besudelt die Soldaten, das Parkett, die Wände und das Kleid der Pianistin, deren Töne zur Klangkollage der Verwüstung werden, während die desillusionierten jungen Krieger von den fürchterlichsten Gräueln und erschütterndsten Bedrängnissen berichten.

Walburg findet dichte theatralische Bilder für die vom Kriegshorror emotional und psychisch zerstörten Menschen, die Hoffnungen und Ideale verloren und keine Lebensperspektive für die Zeit nach dem Krieg erkennen. So lässt er die Szene eines Heimaturlaubes, in dem Paul resignierend erkennen muss, dass er sich schon jetzt nicht mehr zurechtfindet in der Zivilgesellschaft, nicht im vorbereiteten Bühnenraum, sondern im Zuschauerraum spielen. Walburg bebildert nicht den Krieg, sondern die Sinnlosigkeit des Kriegsmythos‘. Wer stirbt, zieht seine Uniform aus und spielt weiter. Am Ende stehen sie alle in Unterhosen, über und über (theater)-blut- und schlammverschmiert auf der Veranda: keiner überlebte, keiner kehrt zurück in die Idylle des musealen Salons, der nun auch nichts mehr ist als eine Schlammwüste, ein verheerter Kulturraum. Die fünf jungen Männer, die von der Schulbank weg mit Hurra freiwillig in den Krieg zogen und darin umkamen, stehen für eine ganze verführte, zerstörte, verlorene Generation, der Remarque seinen Roman widmet. Er nennt sie die Generation, „die vom Krieg zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.“

Walburg schafft durch die Konzentration der Texte, die Dynamik der Inszenierung und die unglaubliche Intensivität des Spiels der fünf Darsteller (Jonas Steglich, Dominik Maringer, Jakob Benkhofer, Nicola Fritzen, Daniel Nerlich) einen ergreifenden und am Ende erschütternden Theaterabend.

Erich Maria Remarque wusste, wovon er berichtet: Er selbst kam nach einem Notabitur im Sommer 1917 an die Westfront, wurde dort am Ende des Jahres so schwer verwundet, dass er die Zeit bis zum Kriegsende im Lazarett verbringen musste. Es war das Armee-Hospital in Duisburg. Er wurde zum Antimilitaristen und Pazifisten. Der Roman, der zunächst 1928 als Fortsetzungsroman in der Vossischen Zeitung erschien, gilt als der meistverkaufte deutschsprachige Erzähltext aller Zeiten.

Lars Ole Walburg sagt in einem Interview, dass er keineswegs daran dachte, den vierjährigen Grabenkrieg realistisch auf die Bühne zu bringen oder gar zu bebildern, „was aber der Krieg mit Menschen anstellt, was er mit ihnen macht, das muss immer wieder gezeigt werden.“ Das gelingt ihm mit diesem grandiosen, bestürzenden Theaterabend in einer Zeit, in der der Krieg „zu den alltäglichen Erfahrungen von Millionen Menschen“ gehört.