Übrigens …

Top Dogs im Schauspiel Essen

Über den Sturz vom Topmanager zum „white collar trash“, ein modernes Königsdrama

Als der Schweizer Autor Urs Widmer (1938-2014) Mitte der Neunziger Jahre sein Theaterstück Top Dogs, basierend auf Gesprächen mit Betroffenen aus den Chefetagen, schrieb, hieß es, die fetten Jahre seien vorbei. Im Zuge der Globalisierung erwirtschafteten multinationale Konzerne zwar horrende Gewinne. Parallel dazu fielen Handelsbarrieren und die moderne Kommunikationstechnologie wurde massiv vorangetrieben. Was eine Verlagerung von Produktionsstätten in profitablere Regionen auf dem Globus ermöglichte. Restrukturierungen, auch in deutschen Unternehmen, hatten und haben Entlassungen zur Folge. Nicht nur von den „Underdogs“, nein, auch die hoch bezahlten Karrieremanager der oberen Führungskreise sind durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck auf die Industrie, durch Umstrukturierung, Redimensionierung oder gar Schließung von Firmen vom Absturz in die Arbeitslosigkeit bedroht. Dieses Phänomen ist heute aktueller denn je. Urs Widmer sagte einmal: „Es geht in Top Dogs nie um einseitige Schuldzuweisungen oder ideologische Parolen.“ Die Zuschauer sollen dafür sensibilisiert werden, welche emotionalen Folgen dieser einschneidende Schritt für die Betroffenen hat, die nicht mehr „nützlich“, nicht mehr „rentabel“ sind. Warum sie Scham empfinden, obwohl sie wissen, dass sie keine „Schuld“ trifft.

Jürgen Schrempp, von Mai 1995 bis Dezember 2005 Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz-AG und der Daimler-Chrysler-AG, fasste diesen fast mörderisch anmutenden Trend mit folgenden Worten zusammen: „Fix it, sell it – or kill it.“

Christoph Roos inszenierte Top Dogs am Schauspiel Essen. Er vertritt zu Recht die Meinung, dass dieses Stück auch nach 20 Jahren brandaktuell ist: „Das Tolle an Top Dogs ist ja, dass es nie als abgeschlossenes Stück gedacht war, sondern immer die Einladung bestand, es an den Ort und die Rahmenbedingungen anzupassen.“ So verlagert Roos den Spielort von der Schweiz nach Deutschland, ersetzt Nestlé und Lindt als wichtige Unternehmen durch Lufthansa und Rheinmetall und hat auch sprachlich einiges neu formuliert (so ist in der Essener Inszenierung von „Facebook“ die Rede). Die entlassenen, in ihrem Leistungseifer abrupt gebremsten Führungskräfte – in Essen sind es zwei Frauen und fünf Männer – begegnen sich in einer Outplacement-Agentur, die gegen ein stattliches Entgelt der alten Arbeitgeber den Entlassenen bei der Suche nach einem neuen Job helfen soll. Obwohl sich bei so manchen Kandidaten die Frage stellt: „Wo soll ich einen wie Sie einsetzen?“ Die so oft gebrauchte Floskel „Jede Entlassung ist auch eine neue Chance“ bekommt einen bitteren Beigeschmack. In Rollenspielen sollen die arbeitslosen Manager ihre neue Situation begreifen lernen. Wie sie sich in Scheinwelten flüchten, ihre Depressionen und familiäre Probleme verdrängen und schön reden, ist von beklemmender Komik.

Dass Essener Bühnenbild ist minimalistisch karg. Ein grauer Raum mit einem flauschigen Teppich. Die „Klienten“ – alle im „business suit“ – laufen nur auf Socken herum. Große, durchsichtige Plastikbälle dienen als Sitzgelegenheit. Christoph Roos kann sich auf ein ausgezeichnetes Ensemble verlassen, dem man den stufenweisen Wandel vom gekränkten, uneinsichtigen Topmanager zu einem mitfühlenden Menschen durchaus abnimmt. „Es muss eine Zeit kommen, wo wir uns mit Würde begegnen“, sagt einer der Betroffenen. Axel Holst spielt hervorragend den fassungslosen Krause, der in Selbstmitleid fast ertrinkt und hemmungslos schluchzend, über Selbstmordfantasien redet. Thomas Büchel glänzt als Dodo Deer, ein ehemaliger Airport-Catering-Chef, der besonders lange braucht, bis er die Realität akzeptiert. Anrührend-komisch sein Monolog, wenn er sich in den Job eines Tierwärters hineinträumt und von Gorillas zu schwärmen beginnt. Hanspeter Müller wird von Sven Seeburg als lange Zeit gefasste Persönlichkeit gegeben. Erst in seinen Rachefantasien, in denen er seinen Chef im Gebirge abstürzen lässt, kommt seine tiefe Verletzung zu Tage. Jan Pröhl als Urs Bihler und Thomas Meczele als Michael Neuenschwander (immer schon ein „Winner-Typ“ und „Sympathieträger“) ergänzen die Herrenrunde. Ines Krug spielt Susanne Wrage, Ex-Marketingchefin bei Rheinmetall. Nach ihrem Eingeständnis, wie tief sie die Entlassung getroffen hat, steigert sie sich in einem witzigen Monolog in Fantasien über ihre triumphale Rückkehr an die Konzernspitze hinein: „Nicht nur Männer können mit Waffen umgehen.“ Silvia Weiskopf spielt Julika Jenkins. Die einzige in diesem Kreis, der zum Ende hin die Rückkehr in das Berufsleben gelingt, wenn auch nur an einem Arbeitsplatz an der Grenze zwischen Nord- und Süd-Korea. Eindrucksvoll, wenn sie durch die auf die Rückseite projizierte Waldlandschaft ins Off verschwindet. Berührend auch der zögerliche Gesang von „Big Big World“ der restlichen Truppe zum Abschluss.

Eine intelligente, bewegende, aber durchaus auch komisch-witzige Produktion. Sehr sehenswert!