Glaubenskämpfer im Köln, Schauspiel

„Über Gott reden – wie geht das?“

Nuran David Calis, Autor, Regisseur und Filmemacher, wurde 1976 als Sohn armenisch-jüdischer Einwanderer aus der Türkei in Bielefeld geboren. In vielen seiner Arbeiten bringt er Alltagsexperten, Schauspieler und Laien, auf die Bühne, die ganz persönliche Ansichten und Erfahrungen erzählen und miteinander diskutieren. So brachte er am Schauspiel Köln bereits Schauspieler und Anwohner der Keupstraße in Köln-Mülheim zusammen. In der ungemein interessanten Produktion Die Lücke erfuhren die Zuschauer brisante Details über das NSU-Nagelbombenattentat, aber auch vieles über das Leben in der vorwiegend von Deutschtürken bewohnten Keupstraße. Beides hilfreich für das Bemühen, einander zu verstehen und dezidiert Position gegenüber verbrecherischen Attentaten zu beziehen.

In seinem neuen Projekt Glaubenskämpfer – weitaus mehr ein Diskurs als eine Theaterinszenierung im traditionellen Sinne – geht es um die Definition von Glauben, um die Rolle von Glauben in unserer freiheitlichen, eher säkular geprägten Gesellschaft, aber auch um die Bemühung, über Glaubensgrenzen hinweg ins Gespräch zu kommen. Information und Aufklärung statt dumpfer Vorurteile („Muslime, Migranten – für viele eine Sauce“).
Ähnlich wie bei der Lücke befragen vier Schauspieler aus dem Kölner Ensemble (Mohamed Achour, Simon Kirsch, Annika Schilling, Martin Reinke) prominente Gläubige: die Nonne Johanna Domek (von 1986-1992 bzw. 1996-2010 Priorin der Benediktinerinnen in Köln-Raderberg), Avraham Applestein (lange Zeit Vorstandsmitglied der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Köln) und Dominic Musa Schmitz. Mit siebzehn zum Islam konvertiert, acht Jahre lang überzeugter Salafist und rechte Hand von Sven Lau, bis ihm der Ausstieg aus der radikalen Szene gelang. Heute ist Schmitz nach wie vor gläubiger Muslim, engagiert sich aber in Präventionsarbeit an Schulen. Ferner dabei: die drei türkischstämmigen Anwohner der Keupstraße, die wir schon bei der Lücke kennengelernt haben (Ismet Büyük, Ayfer Sentürk Demir, Kutlu Yurtseven).

Sie alle erzählen von ihrem Glauben und was er ihnen bedeutet. Warum fühlen sich manche sicherer, wenn sie glauben? Man erfährt erstaunliche (weil bislang unbekannte) Thesen, wie diese zum Teil sehr extrem Gläubigen ihren Glauben definieren und durchaus auch auf ganz unterschiedliche Weise erklären. Durchaus auch auf ganz unterschiedliche Weise erklärt. So berichtet Johanna Domek mehr nüchtern-analytisch, wie ihr Leben verlief. Wie sie als junges Mädchen einen Spatzen tötete. Ein Erlebnis, das sie zu der Erkenntnis brachte, dass sie in einem Orden, dessen Gebot die Feindesliebe sei, am besten aufgehoben sei. Avraham Applestein, dessen Großeltern im KZ ermordet wurden, berührt mit seiner verhalten vorgetragenen Lebensgeschichte, die ihn aus Israel (wo er den Dienst in der Armee verweigerte) nach Auschwitz-Birkenau führte, wo er zu seinem Glauben fand. Martin Reinke beschreibt seine Suche nach Gott, wobei er „Evolution als Selbstentfaltung Gottes“ versteht, und fordert eindringlich das Gespräch mit Andersgläubigen („Auge in Auge, nicht Zahn um Zahn“). Kutlu Yurtseven, im Alltagsleben ist er Ganztagskoordinator an drei Schulen in Hilden, rief 2007 das Projekt „Bejarano& Microphone Mafia“ ins Leben, in dem die „Microphone Mafia“ gemeinsam mit Esther Bejarano, einer Überlebenden des Auschwitzer Mädchenorchesters, auf der Bühne steht. Er sagt über sich: „Ich bin gegen Hass, Zorn und bin gegen Kriege. Ob Muslim, Antirassist, Humanist…egal, ob spirituell oder säkular, unterm Strich steht Menschlichkeit“.

Glaubenskämpfer ist ein Abend, der keine Antworten gibt, sondern Fragen stellt und verschiedene Denkansätze aufzeigt. Calis lässt per Videoeinspielung die Pegidavertreter Ester Seitz und Melanie Dittmer ihre abwegigen Ansichten darlegen, ebenso den radikalen Islamisten Bernhard Falk. Man sieht auch ein professionell gemachtes Werbevideo des IS. Niederschmetternd, empörend.

Zum Schluss stellt Kutlu Yurtseven die Frage, was aus uns in den letzten fünfzig Jahren geworden ist. Denn damals kauften Muslime koscheres Fleisch beim jüdischen Metzger. Damals stellte der Dompropst den Ostflügel des Kölner Doms für das Ramadan-Gebet zur Verfügung.

Nach einer längeren Schweigephase gab es bei der Premiere langen stehenden Applaus.