Übrigens …

Lehman Brothers, Aufstieg und Fall einer Dynastie im Köln, Schauspiel

Der amerikanische Traum, eine Chance für den Aufstieg, aber keine Garantie für andauernden Erfolg

Stefano Massini, 1975 in Florenz geboren, verfasste mit der Trilogie Lehman Brothers, Aufstieg und Fall einer Dynastie eine Familiensaga und gleichzeitig punktuell eine Analyse der Entwicklung des Kapitalismus in Amerika. Historisch korrekt und recht detailreich beschreibt Massini, wie das Familienunternehmen der Lehman-Brüder seinen Aufschwung nimmt, in kürzester Zeit ein Riesenvermögen ansammelt und dann scheitert. Er liefert keine sachkundige Analyse des Finanzmarktes und seiner Entwicklung, sondern erzählt vielmehr eine durch zahlreiche Anekdoten und Querverweise (u.a. zur Frage der Sklaverei, zu den Sezessionskriegen, zur Industrialisierung) anschauliche und unterhaltsame Geschichte. Die umfangreiche Vorlage, knapp 250 Textseiten, wurde für die Dresdner bzw. Kölner deutschsprachige Erstaufführung gekürzt.
Spielszenen wechseln sich an diesem Abend mit narrativen Phasen ab. Sieben Schauspieler schlüpfen in immer neue Rollen, kommentieren zum Teil sich selber oder berichten aus einer neutralen Erzählerperspektive, was sich in der Welt, in Amerika und im Lehman-Unternehmen gerade tut. So fehlt der Raum für intensive, längere Spielszenen. Dennoch gewinnt der Betrachter einen guten Einblick sowohl in das zunächst immer noch von religiösen Dogmen und Gebräuchen geprägte Leben der Lehman-Brüder wie auch in Machenschaften der Finanz- und Geschäftswelt. Eine kritische Beurteilung der letzteren fehlt, wäre aber auch hier nicht nötig, da sie nicht im Mittelpunkt der Betrachtung steht.

Stefan Bachmann führte Regie bei dieser Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Dresden. Dort hatte die Produktion am 5. Juni 2015 Premiere. Für das überaus eindrucksvolle Bühnenbild zeichnet Olaf Altmann verantwortlich. Wir sehen ein riesiges Rad mit drei Speichen, die an Hämmer oder Ölfördertürme erinnern. Mal dreht es sich vor einem hellen Bühnenhorizont, dann bleibt es zuweilen stehen. Ein Glücksrad? Ein Rad, das den Fortschritt symbolisiert? Die Interpretation bleibt jedem überlassen. Die Bühne an sich ist leer, den Hintergrund bildet ein erleuchtetes Halbrund.

Zu Beginn der Trilogie kommt der deutsche Jude Heyum Lehmann, 26, Sohn eines Viehhändlers, aus Rimpar in Bayern im gelobten Land Amerika an. Im Nu wird sein Name in Henry Lehman geändert, angepasst an die neue Umgebung. Er eröffnet in Montgomery, Alabama, einen kleinen Stoff- und Kleiderladen, der gut läuft: „Baruch hashem!“ (Gott sei gedankt). Bald folgen seine beiden Brüder Emanuel (Mendel) und Mayer. Das Familienunternehmen floriert. Die Brüder kaufen Baumwolle von den Plantagen und verkaufen sie mit Gewinn an die Fabriken. Fromm sind sie, die Mesusa hängt neben der Tür. Als Henry stirbt, wird das Kaddisch gebetet und sein Anzug zerschnitten, so, wie es der Glaube vorschreibt. Der weiteren Expansion des Geschäftes tut Henrys Tod keinen Abbruch. Emanuel eröffnet ein Büro in New York, Mayer bleibt in Alabama. Das „echte Geld“ machen sie nun auch mit Kaffee und Öl, sie investieren zusätzlich auch in die neue technische Entwicklung „Eisenbahn“. Emanuels Sohn Philipp übernimmt die Firmenleitung in New York. Nach und nach entwickelt sich diese zu einem reinen Finanzinstitut, Kredite werden verliehen und enorme Gewinne auf diese Weise gemacht. Neben dem geschäftlichen Boom der Lehman-Familie erfahren wir von Brautsuche, Hochzeiten und Barmiza-Feiern der Sprösslinge. Trotz des Schwarzen Freitags schafft es Bobby (Robert), Philipps Sohn, als Lehman der dritten Generation die Bank durch die Wirtschaftskrise zu führen und auch im Zweiten Weltkrieg noch Gewinne zu machen. Während der 60er Jahre stößt der ungarische Trader Lewis Glucksman zur Lehman-Bank. Durch seine Spekulationen vervielfältigt sich der Gewinn. Das Stück geht nicht konkret auf den Konkurs der Bank ein, die später an American Express verkauft wurde.

Lehman Brothers in der Regie von Stefan Bachmann ist eine spannende Inszenierung, die sowohl Einblicke in diese Familie gibt, die an ihren jüdischen Traditionen festzuhalten sucht, als auch aufzeigt, wie die gesellschaftlichen und vor allem die wirtschaftlichen Entwicklungen immer mehr in den Vordergrund treten. Bachmann kann sich auf ein gut aufeinander eingespieltes Ensemble verlassen. Torsten Ranft, Ahmad Mesgarha, Philipp Lux und Sascha Göpen kommen vom Staatsschauspiel Dresden, Thomas Müller, Jörg Ratjen und Simon Kirsch aus dem Kölner Haus. Sie machen den Abend zu einem Vergnügen. So erinnert Philipp Lux als tänzelnder Dandy Bobby Lehman, der in das Kino und den Film investiert, an manch glamouröse Vorabendserie. Ganz im Gegensatz zu seinem steifen Vater Philipp (Jörg Ratjen), der nur die Bilanzen im Blick hat.
Zum Ende tanzen alle Twist, auch Bobby: „Wer nicht mittanzt, ist raus aus dem Spiel.“ Dann hält das Rad an. Bobby stirbt. Die Bank geht in Konkurs. Sie soll nach jüdischem Ritus zu Grabe getragen werden. Das Kaddisch soll gesprochen werden, wie damals in Rimpar.

Ein beeindruckender Abend, der trotz seiner Länge wie im Fluge zu vergehen scheint.