Eine makabre Raststätten-Philosophie
Viele Besucher der Premiere am 31. März im Theater hatten wegen des nasskalten Wetters draußen ihre Mäntel und Jacken anbehalten, da es in Orangerie früher selten wärmer war als draußen. Das hat sich inzwischen allerdings geändert; die Koalition von Grünen und der CDU hatte deutlich mehr Geld locker gemacht für die freie Theaterszene in Köln, so dass Theaterchef Marco Berger als erste Maßnahme das kaputte, zugige Dach reparieren lassen konnte, wie er stolz erzählte. Jetzt könne man auch im Winter oder bei hellem Tageslicht spielen und sogar ordentlich Krach machen, ohne die Nachbarn zu stören.
Zu Frieren gab es trotzdem etwas, denn der Krimi, der da spielte, konnte einen schon erschaudern lassen. Eine undurchsichtige Autobahn-Horrorgeschichte spulte da ab, welche das volle Haus 90 Minuten in Atem hielt, handelt sie doch von Unfällen. Einige große Öl- und Benzinfässer als Tankstelle, ein riesiger Getränkekühlschrank als Raststätte und ein Tennis-Schiedsrichterstuhl mit Rückspiegel als Führerhaus eines Trucks – das reichte als Bühne und intensiver Spielort (Kostüme und Bühne: Regina Rösing). Dort saß schon beim Einlass ein über das Leben und die Fahrspuren auf der Autobahn geschliffen schwadronierender Fernfahrer (Felix Hübner), genervt von Rolf, einem maxi-verklemmten Versicherungsangestellten (Janosch Rolf), Beate, einer Raststättenkellnerin (Anne K. Müller) und einem Barbie-hoch3-Luder mit fiepsiger Stimme (Claudia Holzapfel). Der junge Österreicher Ferdinand Schmalz hatte mit Dosenfleisch im vergangenen Jahr bei den Berliner Theatertagen Furore gemacht; das Stück ist Mittelteil eines geplanten Triptychons mit Lebensmittel-Metaphern, begonnen mit „am beispiel der butter“ und endend mit „der herzelfresser“. Man darf gespannt sein.
Der prollige Fernfahrer erscheint fast einem Tarantino-Film entsprungen, er betet den Autobahn-Mittelstreifen in einer Ode an den Fernverkehr und die Schnelligkeit der Autobahn beinahe an, philosophiert über den „Fleischnebel“ – eine hübsche Wortschöpfung – der zerplatzten Insekten auf seiner Windschutzscheibe und über die vorbeifahrenden Blechdosen mit menschlichem Inhalt, halt dem Dosenfleisch. Da war nämlich soeben ein Laster mit dieser Ladung umgekippt, scharf beobachtet vom herrlich spießigen Versicherungsmenschen, der beruflich Unfallschäden bearbeitet. Aber hier ist er ganz privat, denn Rolf sammelt Bilder von Unfallopfern, die er nach Art der Verletzung genauestens katalogisiert; sein Lieblingsplatz ist die unfallträchtige „Todeskurve“ an besagter Raststätte. Ein Unfall-Voyeur, der begierig auf den nächsten Zusammenstoß mit Verletzungsfolgen wartet.
Dort lebt auch Beate, schlecht gelaunte und grantelnde Pächterin oder Kellnerin der Raststätte, deren einstiges Elternhaus der Autobahn geopfert worden war; die Piste geht genau durchs ehemalige Kinderzimmer. Kein Wunder, dass sie Aktivistin gegen die Autobahn ist, und sich mit der ehemaligen Filmschauspielerin Jane, bis zum „geht nicht mehr“ aufgetakelte ehemalige Fernsehschauspielerin und ebenfalls ein früheres Unfall-Opfer, zum Horror-Team verbunden hat. Sie machen gemeinsame Sache in Sachen Verkehrsunfällen; auch andere Menschen sollen die segensreiche Intensität eines Verkehrsunfalls erleben können – allerdings auf ungewollte und ungesunde Weise. Das kommt aber erst spät heraus, als eine Leiche aus dem Cola-Kühlschrank kippt; offensichtlich die gemeuchelte Vorgängerin von Beate. Die Mordgelüste des Damenteams symbolisieren sich erkennbar in voluminösen Bomberjacken, politische Anspielung auf gewisse Kreise in Deutschland. Nun aber kann ihr Opfer Rolf nicht mehr abhauen, der Showdown nimmt seinen Lauf.
Was die vier Personen schlussendlich miteinander verbindet, wird nicht ganz klar, außer ihrem Hang zum Unfall-Fetischismus. Muss aber auch nicht, denn Dosenfleisch ist ein sehr unterhaltsamer subversiver Krimi, ein poetischer Splatter mit geistreichen Sprachschöpfungen und Wortspielen, ein Theater-Thriller mit albernen Kalauern, die aber nie die Oberhand bekommen. Der Regisseur Thomas Wenzel hat mit dem Kölner Rose-Theegarten-Ensemble (der Name stammt von einer alten Firma für Verpackungsmaschinen, die umgezogen war und deren Kantine dann als Spielstätte diente) und den exzellenten Akteuren und eigenwilligen Charakteren Felix Höfner, Claudia Holzapfel, Anne K. Müller und Janosch Roloff ein durchgängig hochspannendes Theaterstück geschaffen, mit viel Freude an der Sprache und ihrem Rhythmus, ganz und gar ohne Leerlauf. Langer und heftiger Applaus für einen kurzen, aber umso eindrucksvolleren Theaterabend.