Übrigens …

Cyrano de Bergerac im Köln, Schauspiel

Sieg der poetischen Schönheit über den schönen Schein

Er ist nicht gerade mit Schönheit gesegnet. Und erst die Nase! Die macht Cyrano, wie er glaubt, völlig unmöglich – bei Roxane, die er heimlich liebt. Doch der lyrische Poet hinter dem Nasen-Erker gewinnt gleichwohl ihre Liebe, von der weder sie noch er anfangs etwas weiß - durch Poesie. Er souffliert nämlich dem etwas dümmlichen Christian de Neuvillette die Gedichte, die er für den von Roxane geliebten Schönling geschrieben hat und die der unterm Balkon der Geliebten singt.

Auch die mitreißenden Liebesgedichte, die Christian als Soldat in die Heimat schickt, stammen von Cyrano. Doch der etwas tumbe Schönling Christian fällt im Krieg – und Roxane geht ins Kloster. Erst dort bringt ihr offenbar der Heilige Geist die Erkenntnis, dass die von ihr so verehrten Briefe der Nasenbär Cyrano geschrieben hat. Zu spät. Denn auch Cyrano segnet bald das Zeitliche. Genießen konnte er nur seinen Triumph als lyrisches Ich: „Mit seinen (Christians) Lippen küsst sie meine Worte“.

Edmond Rostand (1891-1968) adelte den historischen Cyrano de Bergerac (1619-1659) in seinem neuromantischen Vers-Drama als Sieger der Schönheit der Kunst über die des Scheins. Simon Solberg, Spezialist für Versuche, Historie ins Heute zu übertragen, machte sich im Depot 1 des Kölner Schauspiels ans inszenatorische Werk, diesmal eine Liebesgeschichte, die als „eine der größten in der europäischen Dramatik“ gilt, ins Zeitalter des Hip Hop zu übersetzen.

Solberg wagte viel – und gewann. Einen Theaterabend, der ebenso spielerisch-leicht wie laut und rappig daherkommt und dabei voller Sinnlichkeit und Musik, Ironie und mitreißender Liebesszenen ist. Wie ernst es der Regie dabei mit der Poesie und der Liebe ist, zeigt sich spätestens hinreißend am Ende des Abends. Es ist eine der schönsten Szenen, wenn Cyrano, der Roxane seit 14 Jahren regelmäßig im Kloster besucht, ihr seine Liebe gesteht.

Da ist nichts mehr zu sehen von den anfänglichen grandiosen Rap- und Kampfszenen, nichts von den körperlich mitreißend ausgespielten Gegensätzen zwischen Christian und Cyrano und von den an die Schauspieler-Szenen in Shakespeares Sommernachtstraum erinnernden Vexierspielen. Das Happy End, das Liebesgeständnis, ist zugleich von tiefer Trauer begleitet – und bringt die Tragödie eines Poeten ebenso spielerisch wie melancholisch auf den Punkt. Da ist die Poesie ganz bei sich.

Bei aller „Buntheit“ des Spiels zwischen Christian und Cyrano, zwischen den beiden Männern und Roxane: Die Szene ist völlig in Schwarz getaucht. Schwarz ist das Bühnenbild, schwarz die Kleidung der Akteure, schwarz das Gestänge, das sich in Räume verwandeln lässt, das zu Treppen und Grenzzäunen mutiert. Lieblichkeit oder gar Sentimentalitäten sind ausgemerzt. Und da das Trio Stefko Hanushevsky (als Cyrano), Nikolaus Benda (als komisch-depperter wie raffinierter Christian de Neuvillette) und auch die anfangs eher herbe Annika Schilling als Roxane ebenso überzeugend singen, rappen und über Treppen und hohe Zäune akrobatisch hinwegturnen, ist alles vorhanden, was einen sinnlichen Theaterabend ausmacht.

Auch wenn unsere Autor Edmond Rostand mit dieser Inszenierung wohl kaum so schnell in die Académie francaise aufgenommen worden wäre wie er es einst nach der Uraufführung seines Cyrano de Bergerac erlebte – er war und ist das jüngste Mitglied aller Zeiten in dieser erlauchten Gesellschaft - , von einer Einladung zum Berliner Theatertreffen dürfte er wohl träumen. Wie Cyrano von einer Liebesnacht mit Roxane.