Ein blühender Multikulti-Theater-Garten
Eine halbe Stunde vor Premierenbeginn ist der Vorplatz zum Theater voller Menschen allen Alters, aller Hautfarben, aller Kleidungsstile: vom schicken Mini bis zum ganzkörper-umwallenden schwarzen Gewand. Man sitzt auf pinkfarbenen Plastikbänken, auf Holzkisten oder ganz einfach auf dem grünen Rollrasen. Denn aus dem tristen Vorplatz ist ein zauberhafter kleiner Garten geworden. Pünktlich zur Premiere blüht und grünt es in leuchtenden Farben aus Pflanzentaschen, Mini-Hängegärtchen, Blumentreppen und Pflanztischen. Ein Urban Gardening? Nein: ein kleiner Garten Eden. Ein Schild verrät es. Ein Teil des spielzeitübergreifenden Kultur- und Theaterprojektes, das vom Jungen Schauspielhaus gemeinsam mit Flüchtlingen und Düsseldorfer Bürger*innen realisiert wurde und heute Abend zeigen wird, was daraus geworden ist: Das Theaterstück Garten Eden.
Weiter geht’s im ausverkauften Theatersaal. Die Bühne: Holzkisten vor einer riesigen weißen Wand. Ein wenig öde. Doch dann brechen aus der weißen Wand fünfzig lachende, tanzende Darsteller*innen hervor: so bunt gemischt wie das Publikum, zwischen acht und achtzig Jahren, ein Sprachen- und Kulturenmix. Bald aber entwirrt sich das Ganze: Wünsche, Sehnsüchte, Ängste der Einzelnen werden vorgetragen, viele versuchen es in Deutsch, andere finden jemanden, der übersetzt: ins Deutsche, Arabische und Persische. Sie alle begeben sich auf die Suche nach dem Paradies, dem Garten Eden. Und da hilft ihnen das poetische Märchen Der Paradiesvogel von Kurt Schwitters, das er 1924 für seinen kleinen Sohn Ernst aufschrieb und zusammen mit Käthe Steinitz (die selbst aus Nazi-Deutschland fliehen musste) in Die Märchen vom Paradies veröffentlichte.
Doch nicht die Bilder von Schwitters begleiten die frei nach dem Märchen - wiederum in Deutsch, Arabisch und Persisch - vorgetragenen und erspielten Szenen, sondern die ganz zauberhaften Zeichnungen des Illustrators Max Fiedler, dem wir dabei zusehen können, wie er in rasantem Tempo den kleinen Hans, den märchenhaften Paradiesvogel, die ganze weite Welt bis zur Paradiesinsel vor uns erstehen lässt. In riesigen Bildern erscheint das alles gleich auf drei Leinwänden. Die Figuren entstehen, bewegen sich vor-, über- und hintereinander: unglaublich, faszinierend.
Als der kleine Hans seinen entflogenen Paradiesvogel schließlich wiederfindet, im Paradies, muss er erfahren, dass er sich entscheiden muss zwischen seinem Zuhause oder dem Paradies. Ein offenes Ende.
Ein berührender Abend in dem gelebte Authentizität mit bildhaften Träumen, überzeugender Choreographie und musikalischer Untermalung wunderbar zusammenfinden.
Anschließend – wieder im Gärtchen Eden vor der Tür – erfuhr man einiges über das Projekt: Vor etwa einem Jahr gestartet, ging es zunächst um spielerisches Zusammensein, Wanderungen, gemeinsames Kegeln oder Spagettiessen. Dann im Herbst wurde es konkret: von hundert Mitmachern blieben fünfzig und auch danach gab es noch Wechsel bis zum Schluss. Man begann mit zielgerichteten Gesprächen, Interviews: siebzehn Fragen wurden gestellt zum „persönlichen Paradies“ und die Antworten aufgezeichnet. „Doch oft waren die Pausengespräche das Wichtigste“, meint Alexander Steindorf, der mit Bianca Künzel und der Dramaturgin Dorle Trachternach aus der Fülle des Materials und aus der zunächst chaotischen Begeisterung ein Theaterstück gestaltete. Es sollte kein Dokumentar- oder Expertentheater werden, vielmehr ein Sehnsuchtstheater oder Menschenfindungstheater, so Steindorf.
Wenn man nach der Vorstellung die Herzlichkeit der Gruppe untereinander erlebte, möchte man glauben, dass ein gut Teil der Intention erreicht wurde. Ganz wichtig ist, dass das Projekt nicht beendet ist, sondern weitergeht: ab September wird man sich immer montags im „Café Eden“ im Jungen Schauspielhaus treffen. Wer weiß, vielleicht erwächst daraus ein weiteres sozial-künstlerisches Miteinander-Theater?