Lauschangriff mit Hähnchenkeulenmikrofon
Es gibt sie noch gar nicht lange, die Subbotniks, aber schon gehören sie zu den besten Geschichtenerzählern des Landes. Im Jahre 2012 haben sie sich zusammengefunden zu einer Performance-Gruppe (einer „Band“, wie sie manchmal sagen, weil immer mit Musik zu tun hat, was sie auf der Bühne tun). Ihre Geschichten basieren auf eigenen Erlebnissen oder auf großer Literatur, auf Zufallsprodukten oder historischen Ereignissen. Immer lassen sie sich neue Techniken einfallen, um ihre Performances an den Mann oder die Frau bringen, aber längst haben sie einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil. Und der ist zumindest eins: entspannt. Entspannt schlurft Kornelius Heidebrecht denn auch heute über die Bühne und holt sich erstmal einen Klavierhocker. Bei der DEG laufen sie im Spotlight zur Musikfanfare aufs Eis; bei den Subbotniks weiß man nicht so recht, ob die Angelegenheit schon losgeht.
Wieso überhaupt „losgeht“? Nach ein bisschen Heidebrecht-Geklimper, das sich mit Geräuschen vom Computer mischt und zur vorgefertigten digitalen Tonspur hinzugefügt wird, erklimmt Martin Kloepfer ein kleines Podest in der Mitte der Bühne und hält ein Plakat hoch: „Das Ende ist nah!“ – Keine Angst, er meint nicht das Ende der Performance, sondern das Ende der Welt. Alles halb so schlimm also. Wenn er da so steht wie ein Prediger an Hyde Park Corner, handelt es sich bereits um eine Illustration. Es ist die Visualisierung der ersten von vielen kleinen Begebenheiten, die die Jungs heute zum Besten geben. Es ist die Begegnung mit einem, der weniger entspannt ist als die Subbotniks und den sie in Wien getroffen haben. Er stand dort an einer Straßenecke und verkündete hektisch und mit fremdländischem Akzent das Ende der Welt. Nun lauschen wir seinen etwas verzerrt aus dem Verstärker tönenden Tiraden. Das Ende von de Welt das is nix Überraschung für Gott.
Die Thematik von de neue Performance das is nix Überraschung für Kornelius Heidebrecht. Der trägt nämlich nach eigener Aussage schon seit dem Jahre 2003 stets ein Aufnahmegerät in der Tasche. Mit dem hat er auch den Wiener Weltende-Verkünder akustisch verewigt. Die Piano-Klänge, das Klopfen und Tackern, das wir aus dem Computer hören, sind schon künstlerische Umsetzungen der Geräusche der Stadt. Aufs erfahrungsgemäß eher geräuscharme titelgebende Dach sind die Jungs eher seltener gestiegen, aber in die U-Bahn. Auch an die Supermarktkasse haben sie sich gestellt, ins Restaurant haben sie sich gesetzt, in ein thailändisches Kino. Sogar ein „Hähnchenkeulenmikrofon“ für die Pommes-Bude haben sie erfunden. Und überall lief ihr Kleiner Lauschangriff. Das Aufnahmegerät lief, aber vor allem spitzten sie die Ohren und den Verstand, der scheinbar schon aus genetischer Veranlagung auf die Wahrnehmung und künstlerische Weiterverarbeitung von Skurrilitäten geeicht ist. Aus dem, was sie im Laufe der Jahre beobachtet und aufgezeichnet haben, haben sie nun einen wunderbar versponnenen Theaterabend gemacht.
Und zwar stets verfassungskonform. O-Töne gibt es eher selten, und wenn, dann werden sie – anders als bei der Wiener Apokalypse – von den Schauspielern nachgesprochen. Manchmal sampeln sie einfach Gesprächsfetzen aus dem Alltag oder aus ungeschickterweise öffentlich geführten Auseinandersetzungen. Aus diesen Fragmenten schälen sich einzelne Charaktere heraus; aus eher kleingeistigem, prolligem Streit wird eine melancholische Suite über die Beschwernis und das Unglück des Lebens. Je weiter der Abend fortschreitet, desto stärker wird die akustische Jagdbeute zu kleinen skurrilen Szenen ausgebaut, mit Musik und Songs angereichert, ins Absurde überzeichnet. Banale Sätze und Gedanken werden zu surrealen poetischen Loops: Wenn einer der Subbotniki abends auf der Heimfahrt in der U-Bahn (exakte Orts- und Zeitangabe: 4. März 2016, U 18 in Köln) stationenlang sinniert, ob er aussteigen und nach Hause gehen oder weiterfahren und in der Südstadt einen Rotwein trinken soll, erinnert dies an die skurrile, leicht delirierende Poesie von Element of Crimes „Alle vier Minuten kommt die U-Bahn“ und an Wenedikt Jerofejews groteske, tragikomische Reise nach Petuschki. Doch kaum hat man sich entschlossen, mal wieder häufiger den ÖPNV zu nutzen, um den Geräuschen der Stadt zu lauschen, taucht der KVB-Kontrolleur auf. Aberwitzig ist die Story, die sich daraus entwickelt, sagenhaft die Charakterisierung des Kontrolleurs, gefährlich die Eskalation – und völlig irrational die unvermittelte Auflösung des Konflikts.
Nicht an Jerofejew, sondern an Erich Kästners Sachliche Romanze erinnert zunächst die Restaurant-Szene mit Kloepfer und Oleg Zhukov als Ehepaar, das sich auseinandergelebt hat: Sie sitzen allein, und sie sprechen kein Wort, und sie können es einfach nicht fassen. Was macht man mit einem Abhör-Mikro, wenn kein Mensch spricht? Man provoziert die Spießer durch eine laute, inszenierte Szene am Nachbartisch. Zhukov wird später in einem weiteren Ehedrama „Sabine“ geben: Die Geschichte einer gesperrten oder verschmutzten Geldkarte entwickelt sich zu einer übersinnlichen, surrealen Phantasie über einen vorbeifliegenden Vogel. Auch am S-Bahnhof kann man metaphysische Begegnungen erleben – und vielleicht, wer weiß das schon, den Mut finden, mit dem Vogel davonzufliegen in ein neues Leben.
Nicht nur die entspannten, humorvollen Schauspieler mit ihrem wunderbaren, menschenfreundlichen Blick auf die Welt sind es, die den Abend zu einem der stärksten in der bisherigen Subbotnik-Historie machen. Es ist auch der gekonnte Einsatz der Technik, der dessen Qualität ausmacht - und es ist die großartige kompositorische Fähigkeit der vier Bühnen-Akteure, die Musik und Sprache, aufgezeichneten und live gesprochenen Text sowie die parallel zur Aufführung entstehenden Computer-Aufnahmen mit sicherem Gespür für die im Publikum entstehende Atmosphäre zusammenmixen. Für die Musik haben sich die drei selbst musikalisch höchst versierten Subbotniki den Düsseldorfer Bassisten und Jazz-Musiker Nico Brandenburg als Verstärkung geholt. Piano, Balafon, Kontrabass, Posaune und Drums untermalen und verbinden die Geschichten auf kongenial schräge oder auch poetische Weise.
Zum Höhepunkt des Abends wird übrigens die irre, poetische, surrealistisch anmutende Geschichte von Freds und Vanessas Besuch in einem thailändischen Kinosaal, in dem sie inmitten von thailändischen Zuschauern The Revenant“ gucken. Sie werden am Ende allein dort sitzen, weil die sensiblen Asiaten verschämt das Kino verlassen: Fred hat sie verärgert aufgefordert, ihren dauersabbelnden Mund zu halten. Nicht genug, dass diese Szene für sich genommen schon eine fremde, poetische Skurrilität hat: Martin Kloepfer gibt nun den Leonardo DiCaprio, der mit lyrischem Tremolo ein Lied singt und um Aufmerksamkeit für sein göttliches Spiel bettelt. So ist das halt: DiCaprio muss manchmal um Beachtung betteln; Subbotnik hat das nicht nötig. Wer bei denen abschaltet, tut es allenfalls selig entspannt.
Nächste Aufführungen: 8. – 13. Juni an der Studiobühne Köln