Beziehungskrisen
Atmen bedeutet u.a, mit Sprechen zu pausieren. Solche Momente tun dem sturmwindigen Dialog von Kenneth Macmillans Atmen gut. Das namenlose Paar seines Stückes (die schon mal benutzte Buchstabenzuordnung F = Frau und M = Mann individualisiert nicht sonderlich) gehört zum Typ der Gutmenschen: man interessiert sich für Ökologie, praktiziert Energiesparen, bezieht Waren aus dem Fair-Trade-Handel. Mit dem Leben ist man in soziologischer Hinsicht also moralisch eins, mit sich selber hingegen nicht. Soll man diese Welt, welche ja nicht nur aus Gutmenschen besteht, mit kaum kontrollierbarem Nachwuchs beglücken? Solche Zweifel liegen im Kampf mit archetypischen Empfängniswünschen. Auch sonst spürt man – obwohl der Satz „Ich liebe dich“ immer wieder fällt – bei dem Paar ständig eine zum Zerreißen gespannte Beziehungssituation. Es geht kaum ein Satz zu Ende, welcher nicht von Vorwürfen oder Verteidigungen unterbrochen würde. Einer Versöhnung folgt fast automatisch ein neuer Verbalkampf.
Kein Glück liegt auch über der Frucht dieser tief verwurzelten, aber doch überaus heiklen Liebe: die Frau erleidet eine Fehlgeburt, das Verhältnis des Paares verschlechtert sich. Die folgenden Lebensstationen laufen in geraffter Form an Auge und Ohr des Zuschauers vorüber. Es gibt andere Beziehungen, doch die einstigen Emotionen glimmen weiter. Neuer Versuch der Annäherung. Mutterglück stellt sich nun tatsächlich ein, doch keine standfeste Beziehung. Im Kölner Bauturm-Theater, wo das 2013 in Washington uraufgeführte und noch im gleichen Jahr an der Berliner Schaubühne auch für Deutschland vorgestellte Drama nun herausgekommen ist, führt Catharina Fillers Regie. Am Schluss lässt sie eine zärtliche Handberührung misslingen, wie schon einige Male zuvor. Das zunächst weitgehend als recht drastische Komödie ablaufende Konversationsstück endet mit einer Geste von Trauer.
In Berlin ließ Katie Mitchell ihre Darsteller einen Tretmarathon auf Standfahrädern absolvieren, bei dem so viel Licht entstand, wie sie ihre Inszenierung benötigte. Ob diese Energiespar-Regie dem eigentlichen Anliegen des Stückes gerecht wurde? Auch die Kölner Inszenierung gibt einige Rätsel auf. Die von Theresa Mielich entworfene, mit einem eisernen Geländer umgebene Kampfarena macht Sinn, die historischen Reifkostüme und Perücken schon weniger. Etwa eine Zirkusperformance, wie auch die Skateboards und choreografischen Bewegungen der Darsteller zu signalisieren scheinen? Ihrer bisherigen Kleidung dann entledigt, stehen sich zwei (freilich immer noch „kostümierte“) Menschen gegenüber. Diese optische Transformation ins „Normale“ bedeutet aber mehr Wunschdenken als reales Gelingen. Nadja Duesterberg und Martin Krah spielen all diese Obsessionen und Leidenschaften hautnah ans Publikum heran. Brillante Leistungen!
Der Stücktitel wäre noch zu erklären. Wenn sich der Dialog der Protagonisten zu Vulkanhitze verdichtet, fällt immer wieder einmal das Beruhigungswort „Tief atmen“. Aber dieses Atmen führt nie zu wirklicher Entspannung, Und am Schluss, wie gesagt, Trauerflor.