„Macht kaputt, was euch kaputt macht“
Schon das Bühnenbild lässt uns eintauchen in die anarchische Zeit der Hausbesetzungen, der Drogen, der Demos der frühen 70er Jahre. Kein gepflegtes Wohnambiente in dieser WG, die wir vor uns sehen. Bierkästen stehen herum, Tisch und Stühle sind mehr als schlicht und zusammengewürfelt, ein großes Schaf-Fell liegt über dem Sofa, Sprüche wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ (auch eine Zeile aus einem Lied der Band) kleben am Kühlschrank. Rio Reiser und seine Bandmitglieder treten auf. Natürlich im „Look“ der Zeit mit langen Haaren und leicht nachlässiger Kleidung. Heftig diskutiert man, wie sie sich nennen wollen. Es soll neu, aufrüttelnd und griffig sein. Man einigt sich auf „Ton Steine Scherben“. Adrian Linke, der Rio Reiser (mit bürgerlichem Namen Ralph Möbius) überaus authentisch und facettenreich gibt, hält eine flammende Rede: „Musik ist eine Waffe“ und „Unsere Musik soll ein Gefühl der Stärke geben“. Dann hebt sich der Vorhang, der bisher die Hinterbühne abtrennte, und man sieht die Band um Heiner Kondschak. Kondschak, Autor, Musiker und Regisseur, schrieb das Stück 2004 für das Theater Tübingen. Lärmdämmung – auch das war damals so, wenn der Junior im Haus der Eltern probte – geschieht mit Eierkartons. Und auch hier allzu bekannte Parolen wie „Krieg den Hütten, Paläste für alle“.
Und los geht es mit der Geschichte der „Scherben“. Lena Eikenbusch und Eva Spott, die beide verschiedene Rollen an diesem Abend spielen, berichten in Etappen vom Werdegang der Band und vom politischen Hintergrundgeschehen. Dazwischen Spielszenen, so in der WG, wo Nikel Pallat (Paul Steinbach) sich als Manager etabliert. Und immer wieder mitreißende Songs wie „Bis ans Ende der Welt“, „Rauch-Haus-Song“ (auch Joints gehören in diese Zeit und machen auch auf der Bühne die Runde (Rio: „Das neue Medium heißt Haschisch“) und „Blinder Passagier“. Linke singt mal kämpferisch mit rauer Stimme, dann sehr gefühlvoll („Für immer und dich“ und „Komm schlaf bei mir“).
Die „Scherben“ waren oft zu Gast bei Hausbesetzungen und Demos, reich wurden sie nicht. 1985 löste sich die Band auf („Der Traum ist aus“). Rio unterschreibt einen Solovertrag bei einer Plattenfirma. Fast wie ein König steht er da, das Schaf-Fell um seine Schultern, und singt „König von Deutschland“.
Fast drei Stunden lang werden wir auf diese Zeitreise mitgenommen. Sie vergehen wie im Flug dank der hervorragenden Band und dank des sehr guten Ensembles, das mühelos die Gesangsleistungen meistert (hier sind noch zu nennen: Cornelius Gebert und Bruno Winzen). Das Publikum bei der Premiere reagierte nahezu euphorisch. Kein Wunder.