Martin Luther Propagandastück im Düsseldorf, Forum Freies Theater

Zum Schluss ein Flop

Was kann man erwarten unter dem Titel Martin Luther Propagandastück kurz vor dem Lutherjahr und uraufgeführt beim Heiner-Müller-Festival? Glaube und Unglaube, Predigt und Drama, theologischer oder atheistischer Diskurs, das alles könnte gemeint sein. Sollte tatsächlich über das Eine oder Andere dergleichen in dem Siebzig-Minuten-Monolog theoretisiert, philosophiert oder theologisiert worden sein, dann so gut versteckt, dass sich zumindest mir weder Sinn noch Zusammenhang offenbarte.

Auf der großen, dunklen Bühne, klassisch 4 Stufen über den Zuschauerraum erhoben, ein einsatzbereiter Chor von 21 Frauen und 6 Männern in bewusst alltäglicher Kleidung: Jeans und diverse T-Shits. Vorne links eine Drei-Personen-Live-Band. Ein Gospel ertönt und endet in hingebungsvoller Begeisterung mit „Halleluja, Halleluja“. Ein Mann tritt auf mit knallrot lackierten Fingernägeln, auf dem T-Shirt der Aufdruck „Stockhausen“. Vielleicht ein weiteres Stichwort für den Abend? Doch erst einmal stellt er sich vor. Name: Malte Scholz, Beruf: Schauspieler; nicht Pastor, nicht Experte, heute Abend nur Darsteller. Er kündigt an, dass es um die Frage nach dem Glauben gehen wird. Gut, dass er es sagt, vermutlich hätten wir es sonst nicht bemerkt.

Dann beginnt er tatsächlich mit Johannes 20,26: zitiert die Bibelstelle vom ungläubigen Thomas und stellt die Legende richtig, Thomas habe den Herrn berührt. Den Gedanken von Realität und Fiktion belegt der Performer dann sprunghaft, wenn auch für Kenner einigermaßen nachvollziehbar, mit dem Zitat des amerikanischen Essayisten Wallace Stevens: „Der endgültige Glaube besteht darin, an eine Fiktion zu glauben von der man weiß, dass es eine Fiktion ist, weil es sonst nichts gibt.“

„Take me to the water“, trällert der Chor brav-bieder, während Scholz in missionarischem Predigerton ein Agglomerat an Assoziationen über uns entlädt: von Macht, Glück und Weltveränderung, sowie von Stillstand, Alkoholismus und Selbstzerstörung ist die Rede. Dann zieht sich unser Aufklärer bis auf die Unterhose aus. Von Momenten totaler Distanzlosigkeit ist die Rede. Will er das demonstrieren? Zum Glück lässt er die Unterhose an, wenn auch plötzlich von „Furzkissen“ und der Bedeutungslosigkeit unserer Handlungen gefaselt wird, etwa so: „rausgehen, jemanden abmurksen, drauf pissen, aufessen und ausscheißen.“ Vielleicht ein Zitat?

Dann ein angekündigter Text aus Heiner Müllers „Auftrag“. „Zeig deine Wunden“, lässt Müller die allegorische Frauenfigur Erste Liebe sagen, dabei geht es um die Wunden eines Kindes, das zur Revolution auszog, nicht etwa um die Bibelstelle vom Anfang. Bei Nikitin wird daraus „Zeig mir deine Wunden“, doch richtig oder falsch zitiert ist nicht die Frage, vielmehr die nach Sinn und Unsinn. Und die stellt er sich wohl selbst auch, wenn es aus dem Off ertönt „Hat das Sinn?“

Schließlich kommt er zur „Liebe“ und erklärt die Entscheidung, ein Flugzeug ins Hochhaus zu lenken, zum „Akt ultimativer Liebe“, bevor er zur Bibelstelle zurückkehrt. Zum Schluss gerät Malte Scholz in Ekstase, wenn er zum Publikum gewendet hingebungsvoll- verkitscht brüllt: “Ich liebe euch alle. Ich habe euch schon immer geliebt!“ Und dann, leicht abgewendet, verhalten: „Aber ich will nicht berührt werden“. Die Assoziation zum Beginn ist peinlich und geschmacklos.

Ein Lichterkranz aus Scheinwerfern um die Bühne herum erstrahlt so grell, dass man geblendet wird. Erstaunlicher Weise wird freundlich geklatscht.