Übrigens …

Le Marchand de Venise im Globe Theatre Neuss

Wenn Shylock das Messer wetzt

Dieser Kaufmann von Venedig, gerade einmal 90 Minuten lang, dürfte eins der Glanzlichter, wenn nicht gar der Höhepunkt des diesjährigen 26. Shakespeare-Festivals im Neusser „Globe“-Theater (gewesen) sein. Da kommt ein Sextett aus dem Dunstkreis von Paris an den Rhein und präsentiert eine vor überschwänglicher Liebe und tiefem Hass, grenzenloser Wut und mitreißender Komik geradezu überschäumende Inszenierung.

Pascal Faber, Chef der „Compagnie 13“, hat selbst Regie geführt. Mit einem derart feinen und zugleich zielgenau zupackenden Händchen, dass Le Marchand de Venise sich locker dem Dilemma entzieht, einen Juden, nämlich Shylock, mit Samtpfötchen anfassen zu müssen. Musste ein französischer Regisseur mit einer überschäumend agierenden Schauspielertruppe ran, unbelastet und frei von den Skrupeln falsch verstandener Political Correctness, um einen das Messer wetzenden Juden zu zeigen, wie er ist und für was er in diesem Shakespeare-Stück (auch) steht?

Der nämlich erstickt fast im Hass und ist versessen darauf, es einem Christen heimzuzahlen. Er giert geradezu danach, ihm ein Pfund Fleisch aus dem Körper, auch noch „nahe dem Herzen“, herauszuschneiden. Dass seine Gegner, die Christen, dank mieser Tricks und juristischer Fallgruben, letztlich doch Sieger bleiben und Shylock auch noch sein gesamtes Vermögen verliert, zeigt freilich auch die als miese und verlogene Moral-Apostel.

Schon das erste Bild, fast in völlige Dunkelheit getaucht, weist auf Kommendes hin. Zwei Männer durchqueren die Szene. In dessen Mitte steht, von einem Spotlight nur schwach aus dem Dunkel gelöst, ein alter Mann mit Bart, rotem Käppi und einem Buch in den Händen. Ein dritter kommt hinzu, wendet sich dem in Gedanken versunkenen Alten zu – und spuckt ihm unversehens ins Gesicht. Das alles dauert nur Sekunden – und lässt doch ahnen, was folgt.

Dieser schummrigen, Unheil andeutenden Szene folgt der Auftritt zweier spielerisch agierender und parlierender junger Frauen. Es sind Porzia und Nerissa, ihre Freundin, die, in herrlich farbenfrohen Kostümen, sich wie alberne kleine Mädchen gerieren. Porzia, reiche Erbin ihres verstorbenen Vaters, soll endlich heiraten. Um ihre Hand und mehr zu gewinnen, muss der Künftige, so hat’s Papa einst verfügt, aus drei Kästchen das herausfinden, in dem sich Porzias Bild befindet.

Es folgen die humorvoll-witzigsten, vor Temperament und köstlichen Albernheiten fast berstenden Szenen, die die Bühne seit langem erlebt haben dürfte. Von der Regie bis kurz vor einen kaum überbietbaren Höhepunkt getrieben, hinter dem der Absturz in die Klamotte gedroht hätte, gackern und juchzen, stolzieren und hüpfen sowohl der Prinz von Marokko wie der eine Narrenkappe tragende von Aragon um die Wette – und um die Hand Porzias.

Doch erst der Venezianer Bassanio, schon seit langem Porzias Sehnsuchts-Kerl, findet das richtige Kästchen. Dass und wie das ebenso raffiniert wie köstlich naiv agierende Mädchen-Duo die beiden depperten Prinzen vom Pfad zum möglicherweise richtigen Ziel ablenken und den Venezianer schon allein durch Blicke zum gewünschten Ziel steuern, ist minutenlang eine mimisch wie gesten- und körperreiche hochvergnügliche Szene.

Phantastisch, wie nur Sekunden später die Inszenierung den Weg aus dem Vergnüglichen in schwere Gewässer findet. Im Dunkel wirbeln schwarze Tücher um zwei dunkle Gestalten. Dazu heult ein gewaltiger Sturm. Blitzartig wird die Phantasie des Zuschauers auf den Untergang der Schiffe Antonios gelenkt, der für seinen Freund Bassanio Geld bei Shylock, dem verhassten Juden, geliehen hat, weil seine eigenen Schiffe und damit sein Kapital auf hoher See waren. In der festen Hoffnung, nach deren Rückkehr die Schuld bezahlen zu können.

Ein Sturm versenkt alle Hoffnung – und damit folgt der große, scheinbar unaufhaltsame Aufstieg und Erfolg des reichen Juden vor Gericht. Das Messer an einem Lederriemen wetzend, den Mantel ausgezogen und die Hemds-Ärmel hochgekrempelt, will er sich ans blutige Werk machen. Doch da sind die Tricks der Gerichts-Christen vor. Er dürfe, wie im Schuldschein vereinbart, zwar ein Pfund Fleisch aus Antonios Brust herausschneiden. Kein Gramm weniger oder mehr. Außerdem dürfe, wie die als Richter verkleideten und eingeschmuggelten Porzia und Nerissa fordern, kein Tröpfchen Blut fließen. Schließlich habe Antonio nur sein Fleisch verpfändet. Da Shylock mit seiner Tat zudem noch nach Antonios Leben getrachtet habe, wird er nach den Gesetzen Venedigs seines Vermögens beraubt.

Shylock ist am Ende.

Ein verbitterter Mann muss sich den Christen-Tricks geschlagen geben. Aber er fällt auch sich selbst, seiner Härte und Gnadenlosigkeit zum Opfer. Aus Rechthaberei und Hass erwächst tiefe Verbitterung – und arrogante Freude bei den Antonios und Konsorten, den „Siegern“ in einem schmutzigen Spiel. Ob Jude oder Christ.

So eindrucksvoll wie der Abend begann, endet er auch: Shylock und Antonio stehen, im Dunkel nur in schwaches Licht getaucht, weit voneinander entfernt auf der Bühne. Dann verlässt Antonio die Szene - und Shylock versinkt langsam im Dunkel der Nacht.

Ein eindrucksvoller Theaterabend, der alles bietet, was Theater in seinen besten Momenten vermag: Menschen zeigen, ihren Humor und ihre Härte, ihre Boshaftigkeiten und Liebe, Verzweiflung und Hoffnung, Verbissenheit und moralische Überheblichkeit anderen gegenüber. Jubelnder Applaus.