Shakespeares „Sturm“ im Märchenland
Zum ersten Mal in seiner 26-jährigen Geschichte bot das Neusser „Shakespeare-Festival“ auch Kindern ein Theater-Erlebnis der besonderen Art - mit Sir Williams Sturm. Das „Seifenblasen-Theater“ erhielt von den Festival-Machern den Auftrag, Shakespeares letztes, sehr melancholisch gestimmtes Stück und zugleich sein Abschied von der Bühne (vermutlich 1611 geschrieben), als Figurentheater zu inszenieren.
Nur sehr gemäßigt stürmt es anfangs auf der kleinen Bühne. Im Schatten des „großen“ Globe-Theaters auf der Neusser Galopprennbahn, im rokokomäßig heraus geputzten „Foyer“ gegenüber, ansonsten (denkmalgeschützte) Wetthalle bei Pferderennen, hat sich Shakespeare Zeit und Puppen genommen, um auch Kindern seinen Sturm schmackhaft zu machen und sie für seine Stücke vielleicht für immer zu gewinnen.
Das Duo Elke Schmidt und Christian Schweiger hat sich dazu, unter der Regie von Dörte Kein, ans Figuren-Spiel gemacht. Damit es nicht zu stürmisch für die Aufnahmefähigkeit der Kleinen wurde, haben die Darsteller den Text radikal eingestrichen und kindgemäß umgesetzt. Von den 21 Dramen-Figuren sind sieben übrig geblieben – in Gestalt köstlich charakterisierter Puppen. Es sind Prospero und Tochter Miranda, König Alonso und sein Sohn Ferdinand, Bruder Antonio und Diener Stephano, der Luftgeist Ariel und die Missgeburt Kaliban.
Sie treffen sich, vom Schicksals-Sturm getrieben, auf der „Insel der zauberhaften Wesen“, wie das „Seifenblasen“-Duo das gerade einmal 50 Minuten dauernde Spiel untertitelt. In jeder der zehn Aufführungen ließen sich meist jeweils 100 Kinder verzaubern. Eingefangen werden sie ganz zu Beginn von einem Segelschiff, einer Karavelle, die über der Bühne schwebt, in schwere See gerät und unter Ariels Sturm-Attacke zu sinken droht.
Prospero, durch seinen Bruder Antonio und den König von Neapel vor zwölf Jahren vom Mailänder Thron gestürzt und mit Tochter Miranda auf einer einsamen Insel gestrandet, ist seitdem deren Herrscher. Und damit auch Herr über den Luftgeist Ariel und das hässliche Krötenwesen Kaliban. Es geht um Verrat und Liebe, Hass, Rache und Versöhnung. In einem Spiel, in dem das Duo Schmidt/Schweiger die jungen Theaterbesucher mit einfachsten Mitteln in den Bann ihrer Puppen und Stimmen zieht.
An Fäden hängend, von den zwei meist sichtbaren „Strippenziehern“ geleitet, bewegen sich Geschichte und Figuren zwischen Ernst und Spaß, Menschen und Puppen. Puppen, die an Fäden zappeln oder auch direkt geführt werden, werden zum Leben erweckt. Nur Prospero nimmt Menschengestalt an, indem sich Elke Schmidt kurzerhand einen langen Mantel überwirft und sich ins Spiel der Puppen integriert. In dem ist Stephano, ein sympathischer Trunkenbold, spür- und hörbar der Liebling der jungen Besucher.
Dass nicht nur er, sondern auch das Sixpack der übrigen Figuren die Neugier des jungen Publikums nach Ende der umjubelten Aufführung erweckt, liegt da nahe. Die Puppen wurden noch lange nach der Aufführung belagert und bewundert. Bleibt zu hoffen, dass dieser Shakespeare die Kinder so in seine Welt geholt hat, dass aus kindlicher Neugier einmal echtes Theater-Interesse erwächst – wie es sich die Festival-Organisatoren erhoffen.
Schade nur, dass die „zauberhaften Wesen“ der Insel ihren Sturm nicht im „echten“ Globe loslassen durften. Als dessen Tore nach Ende der Vorstellung gegenüber geöffnet wurden, zeigte sich einmal mehr die Anziehungskraft des Shakespeareschen „Originals“ auf die jungen Gäste.