Liebe erweckt Marmor-Statue zum Leben
Es ist ein verrücktes Stück. Da ist Böhmen eine „wüste Gegend am Meer“, das antike delphische Orakel in der Shakespeare-Ära angekommen, und eine vermeintlich längst Tote steigt vom Marmor-Sockel ihres eigenen Standbildes herab. Dem einst mörderischen Gatten in die liebesoffenen Arme. Ein Märchen ist William Shakespeares Wintermärchen, das die „Shakespeare Company Berlin“ im Neusser „Globe“ lebendig werden ließ. Mit schönen, sehr poetischen und eindringlichen Szenen, Traum-Sequenzen, Musik und Liedern.
Umso unverständlicher ist in dieser insgesamt überzeugenden Inszenierung der Einbruch, den sich die Regie von Christian Leonard leistet. Denn was ihn geritten haben mag, als er das Schäfer-Idyll zu einem Einsprengsel mit einem depperten Schäfer und einem noch begriffsstutzigeren Sohn banalisierte, ist das Rätsel dieser Inszenierung. So norddeutsch-platt wie die Böhmer hier schwadronieren – vom Publikum übrigens umjubelt -, so platt und zerstörerisch sprengen diese Szenen die Strenge, Poesie und wahre Komik, die diesen Abend ansonsten auszeichnen. Dass auch das Publikum den Absturz mitmachte, indem es sich dazu hinreißen ließ – mal die Damen, mal die Herren, dann wieder alle -, minutenlang auf Schäfer-Kommando das „Holla Hoh“ zu singen, bleibt ein weiteres Rätsel.
Setzen wir dem Stilbruch gleich eine der schönsten, weil poetischsten und der Liebe huldigenden Szene gegenüber. Die schöne Königstochter Hermione, von Leontes, dem König von Sizilien, wegen vermeintlichen Ehebruchs mit seinem Freund Polixenes, dem König von Böhmen, brutal verstoßen, ins Gefängnis geworfen und dort scheinbar längst gestorben, steigt lebendig von einem Marmor-Sockel, auf dem sie seit 16 Jahren von ihrer einstigen Schönheit Zeugnis ablegte.
In geheimnisvolles Licht getaucht (Lichtdesign: Raimund Klaes), lassen Leontes‘ späte Reue und seine Liebe zu der einst ungerecht Verurteilten das Wunder zu: Der weiße Marmor wird zu Fleisch, die Gattin lebt. Eine eindringliche Szene, in der sich ein Märchen, verbunden mit der Kraft der Liebe, als stärker erweist als die banale Realität. Wie beurteilte einst der große Alfred Kerr das Stück? „Ein Schmarren, aber ein unsterblicher“. Es ist was dran, an dieser widerwilligen Bewunderung.
Sie lieben sich, so beschwören sie es immer wieder, seit Kindesbeinen wie Brüder: Leontes aus dem warmen Süden und Polixenes aus dem kühlen Norden. Zu Besuch ist der Böhme auf Sizilien, umsorgt und umhegt von Leontes‘ schöner Frau Hermione. Doch die angeblich so unverbrüchliche Liebe und Freundschaft zerbricht, als Leontes‘ Seele vom Stachel der Eifersucht vergiftet wird.
In Sekundenschnelle gerät sein Sohn Mamilius zum Bastard, und Perdita, noch gar nicht geboren, muss als Beweis für Hermiones Ehebruch mit dem Freund herhalten. Der soll ermordet werden, Hermione in den Turm verbannt und das dort schließlich geborene Mädchen in der Wildnis ausgesetzt werden. Hier – offenbar im Friesischen - findet der bereits erwähnte und Platt sprechende depperte Schäfer das Kind, nimmt sich seiner an und zieht es auf. Na, ist das kein „Schmarren“? Kerr hatte Recht, aber es kommt noch „besser“.
Denn derweil hat das delphische Orakel gesprochen und Leontes die volle Wahrheit erfahren: Es gab keinen Ehebruch, Hermione ist und war stets eine treue Ehefrau. Leontes, ein „Tyrann“, ist der wahre Vater beider Kinder, die er zuvor als Bastarde verunglimpft und zum Tode verurteilt hat. Wie der unsichtbare, doch mehrfach besungene Schnee im Wintermärchen hinwegschmilzt, lösen sich die Eifersuchts-Exzesse des Sizilianers in Luft auf – und alles ist wieder gut.
Wie gut, dass es Märchen gibt. Perdita, die vermeintliche Schäfers-Tochter, strahlt als Leontes‘ Tochter in königlichem Licht, heiratet Polixenes‘ Sohn Florizel – und die Erbfolge ist gesichert. Hieß es doch zuvor sehr sibyllinisch, dass der König ohne Erbe bleibe, „solange das nicht wiedergefunden worden ist, was er verloren hat“. Der „Fund“, also Perdita, ist gemacht, und das Märchen an seinem glücklichen Ende.
Streng geht die Inszenierung das Stück an. Mit königlich-herrischen Gebärden, dabei dem Stand entsprechenden phantastischen Kostümen und Hüten, die einem venezianischen Dogen zur Ehre gereichten und phantasievoll-ergrauten Perücken. Aber auch spielerisch. So ist das Bild voller Poesie und Liebenswürdigkeit, in dem Leontes mit seinem Sohn spielt und Scherze treibt. Der ist nämlich ein herrlich kleines, von zwei Schauspielern geführtes Kerlchen - eine zum Leben erweckte Puppe.
Die „Zeit“ ist eine wesentliche Komponente in diesem Märchen. Allegorisch lässt sie 16 Jahre vergehen, ehe aus dem Drama eine Komödie, aus der Tragödie mit Mord und Verbannung ein Happy End erwachsen kann. Im Chor tritt sie auf, bittet um Verzeihung, „dass 16 Jahre ich überspring‘“ und uns, das Publikum, mitspielen lässt: „Als hättet ihr geträumt/ verwandelt sich die Szen‘“ – und der Weg zum guten Ende ist begonnen.
Grandios, wie die zum Quartett eingeschmolzene Darsteller-Truppe – Katharina Kwaschik, Johanna-Julia Spitzer, Nico Selbach und Thilo Herrmann – in Blitzesschnelle von einem Charakter in einen anderen schlüpft, dabei zwölf Rollen mit prallem Leben füllt und Stimme und Stimmung schlagartig verwandelt. In einem Stück, in dem eigentlich gut zwei Dutzend Personen ihr Wesen und Unwesen treiben.
Riesiger Jubel am Ende.