Der Kunstreiniger im Düsseldorf, K21, Ständehaus

Thema verfehlt

„Was geschieht, wenn die Museumstüren geschlossen sind?“ fragt das Programm und antwortet auch gleich: Der Kunstreiniger betritt die verlassenen Räume und mit der Zeit geschieht etwas mit ihm: es eröffnet sich ihm „eine neue Welt. Die Bilder beginnen zu leben“.

An diesem Abend bleiben die Türen nicht geschlossen, sie öffnen sich für exakt fünfzig Neugierige, die an der „ besonderen Beziehung“ des Kunstreinigers zu den Kunstwerken teilhaben wollen. Das Asphalt-Festival hat eingeladen und die Erwartungen sind gespannt.

Jeder nimmt sich ein Falthöckerchen und sucht sich einen Platz vor der Absperrung mit dem gelben Warnschild „Achtung Rutschgefahr“. Dann erscheint der Kunstreiniger (Alexander Steindorf), singend und tanzend fegt er uns mit seinem Riesenbesen zur Seite. Er hält inne, erklärt uns seine Arbeit, schwärmt von dem „coolen Raum“, in dem er hier arbeiten darf und vergleicht sein Glück mit dem Brei-Topf aus dem Grimm’schen Märchen Der süße Brei, da er – wie der Brei - durch diese seine Arbeit „mehr geworden“ sei. „Ich bin aus mir herausgelaufen“, wiederholt er mehrfach und fragt sich, ob er das alles vielleicht nur träume. Dann geht’s in die erste Etage, er plaudert aus seinem Leben, deutet an, dass da ein anderes Leben war vor dem Kunstreiniger-Leben.

Weiter geht’s mit dem Lastenfahrstuhl „hoch in den Himmel“. Die Gruppe wird geteilt und ohne ihn in der vierten Etage angekommen, drückt die schweigsame Fahrstuhlführerin (Bianca Künzel) auf einen Knopf im Putzwagen und die Stimme unseres Reinigers beginnt, hoch dramatisch eine Geschichte zu erzählen. Er berichtet von einem Verkehrsunfall, einem Opfer, das im Koma liegt, von den Reaktionen der Menschen um den Schwerverletzten herum: von der Schwester, die tut was getan werden muss, der Freundin, die in Kummer und Selbstmitleid zerfließt und den hilflosen Eltern. Später hören wir die Stimme des Verletzten aus dem Koma heraus in Ich-Form über Zeit und Zeitlosigkeit fantasieren. Der Text ist interessant, eindrucksvoll vorgetragen, doch eine Beziehung zum Museum ist nicht erkennbar. Dann endlich wird ein Kunstwerk einbezogen: Wir hocken uns vor Das Quintett der Erstaunten von Bill Viola, ein dezidiert verlangsamtes Video. Der Kunstreiniger ist jetzt wieder da und erklärt die Technik: eine Minute mit der Hochgeschwindigkeits-Kamera gefilmt, wird auf fünfzehn Minuten Video-Zeit gedehnt. Auf Violas Intention, durch die Entschleunigung bestimmte Gefühle der fünf abgebildeten Personen sichtbar zu machen, geht er nicht ein, erklärt die Leute vielmehr zu Gaffern beim Unfall und erfindet Soziogramme für sie, spielt einzelne seiner erfundenen Szenen vor, ohne dass dabei die Gefühlslage mit dem Video übereinstimmen muss.

Nach neunzig Minuten kommen wir im ehemaligen Plenarsaal an, der seit 2002 von der Installation Das Deutschlandgerät von Richard Mucha bespielt wird. (Die Raum- und Klanginstallation entstand 1990 zur Wiedervereinigung und war damals der deutsche Beitrag zur Biennale in Venedig.) Unser Kunstreiniger erklärt sie zu einem „Bahnhof im Nebel“ und füllt die Zeit mit Fantasien des Schwerverletzten, der im Koma dem Heiligen Perus begegnet.

Zwischendurch erfahren wir, dass der Verletzte nicht wirklich das Opfer ist: drei junge Leute starben bei dem Unfall, die Schuldfrage bleibt offen. Wir werden vor den Fluchtplan des Museums in einer Ecke des Ganges geführt und erfahren, dass dieses „Werk“ für den Kunstreiniger das wichtigste im ganzen Hause ist, denn „hier ist alles Kunst“. Und dann kommt die Aufklärung: unser Kunstreiniger ist der einst Schwerverletzte, er war es, der im Koma lag und er hat möglicher weise „drei junge Leute umgebracht“. Er war Bankangestellter, wurde nach dem Unfall von seiner Umgebung geächtet und floh ins Museum. Auf der Rückseite des Flucht- und Rettungsplanes steckt ein von seinem Kind gemaltes Bild. „Kunst und meine Kinder ist alles, was übrig bleibt. Mich hat es zurückgeholt“.

Oh weh, da kommen ihm fast die Tränen. Das ist sentimentaler Kitsch. Da verliert die Geschichte jeglichen Charme. Dichtung ist anders.

Schade, der Ansatz ist gut: die Idee, den imposanten Raum einzubeziehen, die Zuschauer in Bewegung zu halten – wie im richtigen Museum – sowie dem Ganzen eine fortlaufende Geschichte zu unterlegen und dabei immer wieder Einspielungen vom Band einzuschieben, das alles ist sinnvoll und stimmig. Aber wo bleibt die versprochene ganz besondere Beziehung zu den Werken? Wo der Einfluss, den sie auf den Reiniger gewinnen, wenn sie beginnen zu leben? Am Ende sind es der Fluchtplan und das Kinderbild, die ihm Hilfe und Ausweg bedeuten. Musste es sein, den sensiblen Ansatz der Kunstbegegnung mit Knall-Effekten zu beladen? Und musste das Ganze zwei Stunden dauern, wenn schon nur zwei Kunstwerke mitspielen durften? Schade um die gute Idee, die dichten Textpassagen und die überzeugende Schauspielerleistung. Dennoch: das Publikum applaudierte!