Übrigens …

Weltproben - eine Versammlung im Düsseldorf

Die falsche Frau am falschen Ort?

„Der Spielort wird erst kurz vor der Aufführung per E-Mail bekannt gegeben“, hieß es in der Vorankündigung. Man hatte mich bei der Bekanntgabe aber offensichtlich vergessen, so fuhr ich zum Weltkunstzimmer, dem Zentrum des Asphalt-Festivals. Die Performance finde am „Bilker Markt“ statt. Es sei nicht weit, nur zwei Stationen mit der Bahn. Welche Bahn? Welche Richtung? Welche Haltestelle? Absolute Irritation. War das schon die Performance? War ich schon in der versprochenen „Hyperrealität“ angekommen? Doch dann hatte ich Glück: zwei gleichfalls vergessene Studentinnen nahmen mich in ihr Schlepptau. Erste ganz reale Erfahrung des Tages: Die jungen Leute finden sich dank ihrer Handys überall zurecht, sind kommunikativ und freundlich. Am Ziel angekommen, wurde das radikal anders. Die Mitspieler, deutlich zu erkennen an Kopfhörern und dem gesamten Outfit, wichen meiner Frage, wie es denn weitergehe, demonstrativ aus, wandten sich ab. Offensichtlich verfügten sie über mir bis dato vorenthaltene Informationen. Dann hatte einer Mitleid, verriet mir das Code-Wort und den Laden, wo ich einen Kopfhörer und schriftliche Anweisungen erhielt. Offensichtlich war ich angekommen in der Versammlung, erhielt jedoch zugleich die strikte Anweisung, mit NIEMANDEM!! Kontakt aufzunehmen und die Drohung, dass ein „Auslass aus unserer Wirklichkeit (der Weltproben-Wirklichkeit) ab jetzt nicht mehr möglich“ sei. War ich in eine Sekte geraten? „Sprich mit niemandem. Bleibe ein unauffälliger Teil des Alltags!“ An die erste Anweisung hielten sich offenbar alle, die zweite war ein Witz: jeder von uns war nicht nur am Kopfhörer deutlich zu erkennen. Ganz offensichtlich ist die Klientel des Theaterexperimentes nicht identisch mit der Multikulti-Bevölkerung am Bilker Markt. Das zu erkennen, war möglicher Weise schon ein Teil des Erkenntnisgewinns dieses Events. Ca. zwanzig Minuten stand oder bewegte sich jeder verloren auf dem großen Platz neben der vielbefahrenen Kreuzung. Eine Stimme im Kopfhörer machte uns nach einer Weile auf Einzelheiten Aufmerksam: Woolworth ist da, wo früher der Kaufhof war, die Ampel regelt den Verkehr. Und in der Tat: da entsteht eine gewisse Choreographie der Verkehrsströme, die wir später aus dem siebten Stock des NH-Hotels faszinierend beobachten können. Doch vorerst schickt uns die Stimme in kleinen Gruppen Vereinzelter – denn, wie gesagt, Kontakt ist verboten - auf den Spuren eines fiktiven alten Mannes, der angeblich in diesem Viertel lebt, es kennt aber nicht mehr durchstreifen kann, über die große Kreuzung durch die Straßen. „ Er würde …“, heißt es ab jetzt im Konjunktiv. Wir landen in einem Innenhof und hören dort die unsinnigen Nachrichten eines Anrufbeantworters ab, der durch ein geklapptes Fensterchen tönt. Alle vom April, nach der siebzehnten ist das Band zu Ende. Wir werden zurückgeschickt: „Hallo, ich bin eine von uns, ich brauche dich, deine Augen, Ohren“ behauptet die Stimme. Wer sind wir? Auf dem Platz erkenne ich Julia, unsere Festivalfotografin, mindestens 1,85 Meter groß, jung, schlank, hübsch, über einen Rollator mit Plastiktüten gebeugt. Soll das Platz-ALLTAG sein - oder etwa eine Ironisierung???

Am Ende wird ein roter Teppich ausgerollt, einer der Initiatoren tritt aus der Unsichtbarkeit heraus, inszeniert mit Pathos eine Show, stilisiert das Platz-Geschehen zu einer „Feier des Alltags.“ „Wir sind der Platz. Wir werden der Platz sein. Es gibt keine andere Welt. Die Simulation wird simuliert“, rezitiert er fast-lyrisch und fordert alle auf – die Vorübergehenden so wie die Mitspieler – zu applaudieren. „ Ein Applaus für den Platz! Ein Applaus für die Bäume! Ein Applaus für die Steine!“ Die Passanten lächeln. Die Mitspieler applaudieren. Fast alle.

Mir ist es nicht gelungen, die versprochene „Welt hinter der Welt zu schauen“. Alles blieb oberflächlich und beliebig. Dabei bedrückte mich das Gefühl unnötiger Isolation und Manipulation. Das war wohl nicht gewollt.