Übrigens …

Infinity im Dortmund, Schauspielhaus

Zwischen Mars und Kuhstall

Für Max Raabe ist die Sache denkbar einfach: „Ich kauf mir ´ne Rakete und flieg damit zum Mars“, so der Titel eines seiner launigen Songs. Gewiss, ein wenig Ironie steckt schon dahinter, doch den bemannten Flug zum Roten Planeten auf die leichte Schlagerschulter zu nehmen, ist letztlich nur ein besonderer Beitrag, der Faszination des Mars Tribut zu zollen. An ihm haben sich Science-fiction-Autoren wie Filmemacher abgearbeitet, er scheint derzeit, nach der „Eroberung“ des Mondes, im Fokus der Wissenschaft zu stehen. Obwohl der nächste Schritt schon getan ist: In der Weite des Alls wird längst nach erdähnlichen Planeten gefahndet.

 Menschen auf dem Mars, das ist auch für den britischen Autor Charles Way mehr als eine Utopie, und so hat er seine Ideen dazu in ein Jugendstück gegossen, das den Titel Infinity (Unendlichkeit) trägt. Es wurde jetzt im Kinder- und Jugendtheater Dortmund uraufgeführt, wird weiterwandern zum Gelsenkirchener Consol Theater sowie zum Theatr Iolo in Cardiff. Es erzählt indes nicht nur von der Marsmission einer jungen Astronautin namens Helen, sondern vielmehr und vor allem von den Gefühlen der Zurückgebliebenen. Von Sarah also, die einen Bauernhof bewirtschaftet, über das Abenteuer ihrer Zwillingsschwester Helen aber nur den Kopf schüttelt. Und von Sarahs Tochter Eloise, die ihre Mutter nicht versteht und Helen umso mehr bewundert.

 Jede hat vor der anderen ihre Geheimnisse, die Kommunikation zwischen Raumschiff und Erde ist oft von Heimlichtuerei geprägt. Da bedarf es erst der großen Krise, um die Annäherung zwischen Mutter und Tochter zu fördern. Denn im All gibt es ein Problem, ist längst nicht alles gut und schön. Helen zitiert oft den „Mann im weißen Laborkittel“, also den leitenden Wissenschaftler der Simulationsübungen auf der Erde. Diesmal heißt der Satz: „Der Mensch ist das Risiko, sein Stoffwechsel, seine Gefühle“.

 Andrea Kramer inszeniert Infinity eher unspektakulär, macht nicht auf große Katastrophe und kitschverdächtige Gefühlsausbrüche. Fast kommt das Stück ein bisschen dröge daher, aber es sind die leisen Töne, die uns mitziehen. Passend dazu softige Musik der 60’s. Diese Mischung wiegt umso schwerer, da doch Tilo Steffens’ Ausstattung ziemlich abstrakt wirkt. Eine Art Bauzaun begrenzt die Bühne im Halbkreis, davor ein Leiterkonstrukt, wie von einer Abschussrampe auf Cape Canaveral. Und inmitten lauter Medizinbälle, rätselhafte Physiotherapiebeigabe wahlweise als Sitzmöbel, zum Werfen oder Bemalen (Sarah bevorzugt das Kuhmotiv) gedacht. Der Zaun wiederum dient als Videoprojektionsfläche, um ein wenig Weltraumatmosphäre herbeizubeamen.

 Dementsprechend steckt Steffens die Astronautin Helen in einen zweckdienlichen hellen Einteiler. Jennifer Ewelt gibt sie als stolze Heldin, als Auserwählte, die an der Zukunft der Menschheit basteln darf – der Mars als Zwischenstation für weitere Ausflüge ins All – aber auch als Zweifelnde, die von den Risiken weiß, ihre Lieben aber keineswegs beunruhigen will. Dem Versprechen, dass sie zurückkehren wird, muss sie sich allerdings verweigern. Auch Helens Zwillingsschwester Sarah plagen Gefühlsschwankungen. Johanna Weißert, gestiefelt und hemdsärmelig im Kuhmist stehend, tritt resolut auf, will vom Mars nichts wissen. Dahinter aber steckt die pure Furcht, Helen endgültig an den Weltenraum zu verlieren.

 Immerhin: Diese Angst schweißt Sarah und ihre Tochter Eloise mehr und mehr zusammen. Emilia Haag gibt diesen Teenager als rotzfreche, so lebenslustige wie –hungrige Göre, den Generationenkonflikt nicht scheuend. Das ändert sich, als ihre Mutter endlich von Eloises Vater erzählt, einer Kneipenbekanntschaft. So ist Charles Ways Stück in erster Linie ein Appell im Sinne des „Redet miteinander“. In der szenischen Umsetzung etwas puristisch angelegt, aber nicht ohne Tiefsinn.