Warum tut Liebe so weh?
Ein ganz normaler Premierenabend – scheinbar: jeder Platz besetzt im Kleinen Saal, 200 Zuschauer. Und doch: irgendetwas ist anders, es ist lauter, man sieht kaum Bekannte, kaum einen der „Freunde des Schauspielhauses“, dafür jede Menge Jugendliche. Man winkt sich zu, quer durch den Raum, freut sich ganz offensichtlich am Hiersein vor der leeren, schmucklosen Bühne.
Doch dann geht es los: ein Mädchen stellt sich schüchtern, ein wenig verängstigt an den Bühnenrand und bittet uns alle – ganz besonders aber die eigenen Eltern - um Entschuldigung. Ja um Entschuldigung dafür, dass man nun doch nicht, wie angekündigt und versprochen, „Ein Sommernachtstraum“ von Shakespeare aufführen werde, vielmehr habe man „performativ gedacht“ und sei zu dem Entschluss gelangt, den Sommernachtstraum „aus Sicht der Bäume“ zu spielen. Und überhaupt sei sie die Allerjüngste heute Abend, erst vierzehn, und sie wolle – trotz ihrer roten Haare - auf keinen Fall den Puck spielen. Aha! Da war er doch, der Shakespeare, zumindest der „Puck“ wurde erwartet. Und dann standen sie alle auf der Bühne, alle Dreizehn – oder waren es vierzehn? War am Ende einer nur aus der Phantasie geboren? Warum nicht? Wir sind ja schließlich im Theater! Alles geht durcheinander: da gibt es keinen Besetzungszettel, keinen Regisseur und den Text kennt auch noch keiner so recht. Worum geht es überhaupt? Um Liebe? Gibt es die denn überhaupt noch? Und Wer mit wem? Dann ergreift Finn, einer der Jungen, das Wort und die Kreide: genial skizziert er in Wort und Bild das Shakespeare’sche Geschehen. (Wie dem Programmheft zu entnehmen, beginnt Finn im richtigen Leben gerade sein Studium in „Choreographie und Performance“.) Das Chaos lichtet sich, es entstehen Paare und Nicht-Paare, dabei bleibt der Bezug zur großen Vorlage erstaunlich spür-, hör- und sichtbar. Ein riesiges Videobild verstärkt die eine oder andere Szene, bevor wir uns dann doch tatsächlich alle im dunklen Zauberwald wiederfinden. Und spätesten jetzt ist es ganz sicher nicht mehr der „Shakespeare der Bäume“, sondern der unglaublich anrührende Sommernachtstraum dieser dreizehn/vierzehn jungen Menschen. In kleinen Zelten verschwinden die Jugendlichen, tasten sich dann im Dunklen wieder hervor, rufen leise nach der/dem Ersehnten, huschen ganz heimlich ins andere Zelt - mal willkommen, mal nicht: Emma sucht Richard, Richard sucht Sophie, Sophie sucht… . Da ist sie wieder, die Shakespeare‘sche Verwirrung - oder die heutige? Und wo immer sich etwas tut, geht im kleinen Zelt ein Licht an und wir sehen die Schattenrisse der Figuren, die gerade „Text üben“ oder knutschen? Spielen sie noch oder sind sie längst in ihre echten Biografien geschlüpft? Sie rufen sich mit ihren tatsächlichen Namen und zumindest zwei von ihnen sind inzwischen ein wirkliches Liebespaar.
Am Ende tritt Finn als Shakespeare auf und wird von den anderen mit Fragen bestürmt: Warum tut Liebe so weh? Antworten weiß er nicht, doch der Zauber hält an: es ist gelungen, eine große literarische Vorlage mit dem eigenen Herzen und jugendlicher Authentizität zu verweben. Die Frische bis zur Unverschämtheit überzeugt, gerade weil sie keine „professionellen Schauspieler“ sind. Das Publikum bejubelte die Jugendlichen mit Standing-Ovations und Bravos.
Es war der überzeugende Start der neu gegründeten „Bürgerbühne“ des Düsseldorfer Schauspielhauses. Ein halbes Jahr wurde nach einem gründlichen Casting mit der Regisseurin Joanna Praml und der Dramaturgin Dorle Trachternach am Text gearbeitet, gefeilt und immer wieder neben Schule, Job oder Studium geprobt.
Weitere Projekte mit anderen Bürgergruppen sind geplant, so etwa „Verlorene Lieder“ und „Schlachtfelder der Schönheit“. Wieder sollen „Spezialisten“ zu den jeweiligen Themen eingeladen werden, Theater zu spielen. Der neue Intendant Wilfried Schulz erprobte Ähnliches bereits erfolgreich in Dresden und auch die Arbeit des „Rimini Protokolls“, das seit Jahren „Experten des Alltags“ auf die Bühne holt, dürfte Pate gestanden haben.