Nur eine perfekte Instagram-Welt auf der Bühne
Vorweg gestehe ich, ein „digital immigrant“ und damit nicht die beste aller möglichen Rezensentinnen für eine Aufführung zu sein, die von, mit und für „digital natives“ produziert wurde. Dennoch interessiert mich die rasante audio-visuelle Bühneninstallation, die uns in den digitalen Dschungel einer total vernetzten virtuellen Welt führt, in der sich die drei „Natives“, die Ureinwohner dieser Pseudowirklichkeit, ganz unerschrocken bewegen.
Die Aufführung beginnt mit schrillen Sound- und Bildeffekten, die den nervös-hektischen Bericht eines hübschen Mädchens in der Bühnenmitte dramatisieren. „a“ wird sie im Text genannt und es folgen wenig später auf der Bühne zwei Jungen „b“ und „c, drei Namenlose. Alle drei feiern gerade ihren vierzehnten Geburtstag, alle drei bleiben ansonsten ohne klare Identität, dafür virtuos in den diversen Rollen unterwegs. Wie die Identitäten wechseln die Geschichten und es gehört schon einiges an Konzentration dazu, die drei Erzählstränge zu entwirren: da ist zunächst dieses junge Mädchen (Maelle Giovanetti) „das erste mal in einem Shopping-Kontext“, das in panischer Aufregung berichtet: „Ich sitze auf einer pistazienfarbenen Samtbank und überlege, wie ich Brooke Palermos Nachricht beantworten soll. Ich nippe wie immer bei Miu Miu an meinem Limone-Gurke-Julep, den sie einem da immer geben.“ Sie konzentriert sich, gerät in Panik, ihr bricht der Schweiß aus allen Poren, dann hat sie den Antwortsatz: „Gott, klar doch, wem sagst du das, Baby. Fünf Ausrufezeichen, vier Super-Smileys. Drei Küsschen. .. senden“. Doch jetzt geht die Panik erst richtig los: War das alles richtig? Zuviel? Zu wenig? War das mein „ganz persönliches Emoji? Und dann erfahren wir auch noch, dass diese Brooke, diese „sauteure Luxuskatze“, der man unbedingt gefallen muss, genau neben unserer „a“ auf der pistazienfarbenen Samtbank sitzt und, wie sie, an dem Limone-Gurke-Julep nippt. Man könnte eine ganz normale Pubertätsgeschichte vermuten, es geht um Anerkennung, Konkurrenz, Zickenkrieg und Selbstfindung. Was aber sehen wir auf der Bühne? Eine sich am Boden wälzende Figur mit Handy in der Hand: Keine Samtbank, kein Shopping-Kontext, nur grelle Licht- und Soundeffekte. Die Handlung bleibt abstrakt, die Figuren müssen im Kopf entstehen, sie fordern unsere Phantasie heraus.
Das gilt auch für die nächste Geschichte: Ein Junge ist tot. War es Mord? War der Tote ein Freund? Vielleicht gar der Bruder? Eine unscharfe Filmszene läuft immer wieder über einen Bühnenausschnitt, Live-Videos werden mit großer Kamera auf der Bühne gedreht und riesig auf die Wand projiziert. Die Geschichten verzahnen sich und verschwimmen ineinander sowie auch die Ebenen: Realität und Virtuelle Welt schwirren durcheinander, die Figuren werden anonymisiert, tragen Masken, die wiederum in Schichten übereinandergelegt sind und gleich mehrere Identitäten vorgeben können. Dazu verkomplizieren schnell geschnittene Dialoge und turbulente Textflächen das Geschehen wie zum Beispiel diese: „ Der Junge auf dem Bildschirm ist nicht der Junge aus dem Film. Und der Sturz, den ich mir anschaue, zu einer Serie von Bildern verlangsamt, ist ein anderer Sturz. Der Junge, der da fällt, ist ein anderer Junge. Und sein Sturz ist ein echter Sturz.“
Doch dann, völlig überraschend, erscheint die dritte Episode als unerwartet klar konturierte Spielszene: „b“ (Paul Jumin Hoffmann) fängt etwas mit einem Mädchen an (mit Maske gespielt von Jonathan Gyles), wird aufdringlich und übergriffig. Gerade hier wäre weniger Realitätsbezug gut gewesen.
Am Ende verfügt jeder der Jugendlichen über den Mitschnitt einer diskriminierenden, irgendwen belastenden Videobotschaft. Ein Klick würde genügen, um sie unwiderruflich in der Welt zu senden. Die digitale Macht des Einzelnen. Klicken oder nicht klicken? Die Frage bleibt offen.
Der Regisseur Jan Friedrich gibt der etwas simplen Pubertätsgeschichte mit präzise eingesetztem technischen Medien und drei überzeugenden Schauspielern Tempo und Farbe. Und dennoch: Die Episoden werden kopflastig erzählt, verfremdet, bis zur Unentwirrbarkeit verschränkt aber nicht verlebendigt. Mag sein, dass das symptomatisch für das Leben der digitalen Natives sein soll, doch die Theaterbühne hätte zweifellos andere Mittel, um diese Symptome zu erspielen. Das Stück wird Jugendlichen ab vierzehn Jahren angeboten: Sie werden sich am temperamentvollen Spiel erfreuen, doch zum Verständnis brauchen sie Hilfe. Ein Theaterpädagoge steht bereit.
Der Autor Glenn Waldron nahm an der Uraufführung teil und war erfreut ob der Düsseldorfer Interpretation. In London kommt das Stück erst im März 2017 zur Aufführung.