Die allerärmsten Wesen sind wir Frauen nicht
Medea Punkt Matrix heißt der Titel und angekündigt wird uns ein „Kosmos aus Schauspiel und Kunstinstallation“. Das schraubt die Erwartungen hoch: Medea, die Göttin und Zauberin, die Liebende und Rächende, die Gebärende und Mordende. Ein uralter Mythos umgibt die ambivalente Gestalt und durch die Jahrtausende - von Euripides bis Heiner Müller - machten große Dichter Medeas Schöpferkraft und Vernichtungswut zum Thema ihrer Werke. Susanne Kennedy fügt dem großen Namen das Wort „Matrix“ an. Das kann ein technisches Ordnungsraster meinen oder aber in seiner ursprünglichen lateinischen Bedeutung: Gebärmutter, Muttertier. Medea als das mordende Muttertier. Das könnte gemeint sein.
Gespielt wird in der monumentalen einstigen Gebläsehalle, die in ihrer Kraft etwas von einer neoromanischen Kirche mit zugemauerten Fenstern hat. Und in der Tat inszenierte hier vor acht Jahren Christoph Schlingensief das grandiose Werk Kirche der Angst vor dem Fremden in mir, das bei seiner Rekonstruktion zur Biennale in Venedig nicht einen Bruchteil der Wuchtigkeit des Originals rüberbrachte. Auch dieses Mal scheint uns etwas Weihevolles zu erwarten, denn schon in der dunkelgrün illuminierten Vorhalle wird dem Publikum Schweigen geboten und dann geht es in langsam feierlichem Schritt in einer endlosen Prozession unter tosendem Rauschen und Trommeln aus dem Off in die Halle. Doch nicht zu den Sitzreihen schreiten wir, sondern umkreisen auf verschlungenen Wegen die Bühneninstallationen, vorbei an maskierten Figuren, die an russische Matrjoschkas erinnern, jedoch Schürzenteile mit großen Aktbildern tragen, die sie im Halbdunkel unter ihren Mänteln nackt erscheinen lassen. Vermutlich sind sie der Chor, doch was immer sie sprechen oder singen werden, kommt technisch verfremdet und aufgebläht aus den Lautsprechern. Über und um uns herum hängen riesige Videowände von der Decke, bespielt mit Pflanzen, Tieren und Ungeheuern. Dann dürfen wir uns setzten. Jeder sucht sich seinen Platz im Dämmerlicht der riesigen Halle. Der Sound dröhnt unentwegt und die wabernden Videos machen mich langsam seekrank. Nach einer halben Stunde ist der Einzug beendet. Ein Glockenschlag, dann Blitz und Donner: inmitten der weiter wabernden Videos erhebt sich auf einem riesigen Sockel eine Frauengestalt. Sie wirkt klein im unschicken schwarzen Bikini. Medea? (Birgit Minichmayr) Mit monotoner Stimme zitiert sie: „Am Anfang war das Wort.“ Es folgen Texte aus der Weltliteratur und Philosophie, aus Wikipedia und dem „wirklichen Leben“. Der Gebildete kann die Bibel, Euripides, Nietzsche, Sartre, Horkheimer und Adorno entdecken. Aber es geht auch um übelriechendes Blut, Ausfluss, Pille, Kondome. Klischeehafte Lebensbeichten und Klagen „die allerärmsten Wesen sind wir Frauen doch“ wechseln mit schwergewichtigen Erkenntnissen „nun bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer der Welten.“ Alte Unterdrückungsbehauptungen und Rollenbilder werden zwanghaft beschworen, dabei rasen mal Kampfjets, mal Spermien, mal schwülstige Frauenbilder zu ohrenbetäubenden Soundeffekten über die Video-Fahnen.
Und mitten drin steht ungerührt, kraftlos und monoton die große Schauspielerin Birgit Minichmayr, die sich hier so unerträglich klein machen muss. Das kann nicht die Buhlschaft aus Salzburg sein, die im knallroten Kleid mit wehender Mähne auf dem Rad über die Bühne flitzte? Wen auch immer sie hier darstellt: eine Medea glaubt man ihr nicht.
Ein Potpourri kluger Worte macht noch kein Stück und ein bisschen Kirchenhäme noch keine Aufklärung. Diese versuchte, aufwendige Kunst-Installation reicht nur zum bombastischen Kunstgewerbe. „DIE GEBURT DER TRAGÖDIE AUS DEM GEIST“, erscheint zum Schluss in großen Lettern: da fehlte diesmal der Geist!