Run durch die Welt fataler Ökonomie
Wie schon in der letzten Saison hat sich das Freie Werkstatt Theater in der Kölner Südstadt für seinen Spielplan einen thematischen roten Faden gewählt. „Arm und reich“ lautet das Motto, was unschwer für sich selber spricht. Der Autor von [ungefähr gleich], Jonas Hassen Khemiri (*1978), hat sich bislang mit sozialen Themen anderer Art beschäftigt, vornehmlich solchen aus dem Umfeld der Flüchtlingsproblematik. Als Sohn einer schwedischen Mutter und eines tunesischen Vaters hat Jonas Hassen Khemiri besonders offene Augen und Ohren für Schicksale in diesem Bereich. Sein solidarisches Empfinden führte sogar dazu, dass er von einigen Jahren einen offenen Brief an die damalige schwedische Justizministerin schrieb, in welchem er die Abweisung von Asylsuchenden massiv kritisierte und dies mit persönlichen Erfahrungen untermauerte.
Bereits in seinem ersten Roman Das Kamel ohne Höcker (2006) ging Khemiri dieses Thema an. Ein Jugendlicher aus Nordafrika fühlt sich in seiner neuen Heimat Schweden nicht willkommen und flüchtet in die Rolle des radikalen Außenseiters. Sein Tagebuch erzählt in bewusst unangepasstem Vokabular vom Versuch der Selbstbehauptung. In eine ähnliche Kerbe hieb Khemiris vom Stockholmer Stadttheater in Auftrag gegebenes Stück „Invasion“, welches sich ganze zwei Spielzeiten im Repertoire hielt und auch im Ausland verschiedentlich gespielt wurde. Das Schauspiel Köln zeigte es vor zwei Jahren in einer lokalen Debüt-Regie von Pinar Karabulut.
Die Handlung von [ungefähr gleich] ist mehr allgemeiner Natur, könnte auch in allen Ländern dieser Erde angesiedelt sein. Ähnlich wie Alles, an was ich mich nicht erinnere (der im letzten Jahr erschienene Roman erhielt den renommierten Augustuspreis), wo die Sonnen- und Schattenseiten des Lebens krass miteinander konfrontiert werden, schildert ? [ungefähr gleich] die Suche von vier Personen nach Lebensglück, Anerkennung und beruflicher Standfestigkeit. Eine Formulierung bringt das auf den Punkt: „Auf dem Heimweg kaufte ich mir ein Rubbellos. Ich spürte, ich würde gewinnen. Ich wusste, ich würde gewinnen. Ich war mit hundert Prozent sicher, ich würde gewinnen. – Ich habe nicht gewonnen.“
Mani, der so spricht, ist Privatdozent an einer Uni (zentrales Thema: die Gesellschaftstheorien des niederländischen Schokoladenfabrikanten Casparus van Houten). In Wirklichkeit träumt er davon, das bestehende, ökonomisch dominierte Gesellschaftssystem auszuhöhlen. Nicht eben glücklich verheiratet ist er mit Martina, die sich als Verkäuferin durchschlägt, obwohl sie von einem eigenen Biobauernhof träumt. In einem Tabakladen muss wiederum Andrej jobben, obwohl er gute Leistungen in Abendkursen nachweisen kann. Freja schließlich, die aus ihrer Stellung entlassen wird, stößt die Nachfolgerin vor ein Auto. Am besten scheint es Peter getroffen zu haben, der sich mit seiner Rolle als Loser abgefunden hat und wortreich bettelnd durchs Leben kommt.
Khemiri schildert diese Biografien häppchenweise, verzahnt sie miteinander, lässt ein Kaleidoskop gescheiterter Existenzen entstehen. Indem die vier Darsteller immer wieder auch in die Haut von Randfiguren schlüpfen, ergibt sich ein virtuos zirzensisches Spiel mit kaputten Typen. Nicht immer gelingt es dem Autor, den ernsten Hintergrund der Stories im Auge zu behalten. Das war übrigens auch ein feuilletonistischer Kritikpunkt bei den Aufführungen in Nürnberg und Hamburg (Thalia).
Auch am FWT werden Show-Elemente nicht ausgespart. Bereits die Bühne von Susanne Weibler (zwei goldglitzernde, verschieden kombinierbare Podien) lässt das Stück funkeln und gleißen. PiaMaria Gehles allerdings überaus einfallsreiche Inszenierung gibt dem Geschehen viel Zunder, die ständigen Rollenwechsel der Akteure kommen ihr dabei zugute. Das ist stets furios anzuschauen, birgt aber auch die Gefahr virtuoser Beliebigkeit in sich, entschärft mitunter die Gefährlichkeit des Themas. Dass Anja Jazeschann (Freja) und Philipp Sebastian (Mani) von Fiona Metscher (/Martina) und vor allem Moritz Heidelbach (Andfrej) leicht überrundet werden, liegt freilich auch am Rollenkonstrukt.