Auf der Suche nach dem Glück im Krieg
Die Bühne des kleinen Theaters in Kölns quirliger Aachener Straße aufgerissen bis zu den Brandmauern. So nackt und offen wie die Erlebnis- und Gefühlswelt des 14-jährigen Miki. Denn alles, was den muslimischen Bosnier umtreibt, lässt er aus sich heraus. In einem grandiosen Seelen-Striptease. An einem Theaterabend, der sicher lange im Gedächtnis bleiben dürfte. Wegen des Themas vielleicht, vor allem aber wegen des Schauspielers Jonas Baeck, der in einer turbulenten Ein-Mann-Schau alle Facetten eines pubertierenden Jungen vor uns ausbreitet. Zumal seine Gefühle im Krieg.
Miki erlebt den Balkankrieg in den Jahren 1992 und 1993, als das von Tito künstlich zusammengeschweißte Jugoslawien auseinanderbrach und sich die unterschiedlichen Volksgruppen in die Haare bekamen – in einem dreckigen Vielfronten-Krieg. Baeck lässt uns alle Freuden und Abgründe eines Jugendlichen miterleben, der in einer historischen Grenzsituation das Bestmögliche aus seinem eingeschränkten Leben macht. Das ist wahrlich kein Paradies, aber Miki schafft sich seine ganz eigene Welt zwischen den Fronten. Mit einer Geschichte, die mehr zeigt als Terror und zu Klischees geronnenem Flüchtlingselend.
Ukulele Jam heißt der erste, 2011 erschienene Roman des seit 1994 in Dänemark lebenden fünfunddreißigjährigen Bosniers Alen Meskovic. Die „Stückfassung“ des stark autobiographisch gefärbten Romans hat Dorothea Schroeder erarbeitet, die im „Bauturm“ zu Recht gefeiert wurde. Vor allem freilich dank eines Akteurs, der die rotzige Jugendsprache souverän beherrscht, aber auch ruhige und nachdenkliche Szenen ins Spiel bringen kann.
In eindreiviertel pausenlosen Stunden durchlebt der Vierunddreißigjährige im Rückblick die Pubertätsphase seines Alter Ego Miki. In fetzigen Szenen, mit körperlicher Spannkraft und rücksichtsloser Hingabe an die Musik der Zeit. Was, wo und wann im Jahr 1992 und dem Jahr danach im Ex-Jugoslawien geschah, durch- und erlebt er auch in seinen Vorlieben für die Rockmusiker der 90-er Jahre auf dem Balkan.
Mit einem Nichts an Versatzstücken beherrscht Baeck die Bühne. Mal zwei Stühle, mal ein Tisch, dazu sein geliebtes knallrotes Kofferradio, auf dessen Kassetten die Rockmusik der Zeit gespeichert sind. Sparsam ergänzt und kommentierend, begleiten auf die schwarze Rückwand projizierte Videos das kriegerische Umfeld des Jungen.
Lang ersehnt hat der vierzehnjährige Miki den Sommer 1992. Das Ferienlager an der kroatischen Küste, von dem er schwärmt, erweckt den Eindruck grenzenloser Freiheit. In Wirklichkeit, das erfahren wir bald, ist es ein Aufnahmelager für bosnische und andere Flüchtlinge, die dem Krieg entfliehen wollen. Mikis Mama und Papa sind dabei, stets voller Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat. Nur dass ihr Sohn, Mikis älterer Bruder Neno verschwunden ist, treibt die Familie um. Ist er in Schweden oder längst tot? Miki ist freilich vor allem auf sein eigenes kleines Leben bedacht. Leben will er, Vergnügen genießen, und das bis zur Neige. Ein naiver frecher Kerl, der ebenso selbstbewusst wie unbedarft auftritt. So ist die Sache mit den Mädchen zum Scheitern verurteilt. Unwissenheit, pubertäre Ängste und Naivität lassen Annäherungsversuche auf nahezu liebenswerte Art scheitern.
Erst nach vielen Erlebnissen, ganz zum Ende seiner Reise zum Erwachsenwerden, findet er im Nachtklub „Ukulele“ scheinbar alles, was er so lange gesucht hat: grenzenlosen Genuss und wilde Freiheiten. Unterkriegen ließ er sich nie. Selbstbehauptung lässt die feindliche Welt, lässt Krieg, Gewalt und Heimat vergessen.
Dass Meskovic‘ Roman in Dorothea Schroeders Bearbeitung und Uraufführungs-Inszenierung nie zu einem der allseits bekannten Flüchtlings-Klischees ausufert, ist, neben der bravourösen Leistung seines Akteurs Jonas Baeck, einer der Pluspunkte der Inszenierung.
Berechtigter Jubel im kleinen großen Haus für einen mitreißenden Theaterabend.