Übrigens …

Die Verwandlung im Bochum, Schauspielhaus

Ein äußerst beindruckender Abend der Verwandlungen

Franz Kafka schrieb 1912 seine Novelle Die Verwandlung, die aus dem Kanon der am häufigsten interpretierten Erzählungen der deutschsprachigen Literatur nicht mehr wegzudenken ist.

Kafka arbeitete bevorzugt nachts an seinen Texten, da zu dieser Zeit sich zeige, was den Tag über verborgen bleibe. Beginnt ein Text wie ein Traum, so werden die absurden Situationen, in die Kafka seine Protagonisten schickt, vollkommen realistisch weitergeführt. Vielleicht ist das Kafkaeske auch der Einbruch eines (Alb-)Traumes in die Wirklichkeit? Gregor Samsa, der Protagonist in der Verwandlung, findet sich in einer solchen Situation wieder. Die Geschichte beginnt mit einem der berühmtesten Sätze der Literaturgeschichte: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“

Wie geht man mit dem Thema, dass Andersartigkeit nicht toleriert, nicht akzeptiert wird, um? Ist die Metamorphose zum Insekt in einer Inszenierung konkret darzustellen? Wie kann man sich auf Kafkas gespenstische Welt einlassen, die mit Logik nicht zu erfassen ist?

Jan-Christoph Gockel, Jahrgang 1982, wurde von „Theater heute“ 2015 zum Nachwuchsregisseur des Jahres nominiert. Er inszenierte Die Verwandlung in den Bochumer Kammerspielen. Ihm gelang ein überaus faszinierender, neuer Zugang zu der Novelle.

Gockel sieht Gregor als einen Menschen, „der sich im Laufe der Erzählung im wahrsten Sinne des Wortes in seine Bestandteile auflöst“. Ausgehend von der These, dass es nicht nur um eine Verwandlung geht, sondern um einen Prozess von immer neuen Verwandlungen, wählte Gockel das Spiel mit Puppen und verschiedenen Größendimensionen. Wir sehen Gregor und seine Familie als Schauspieler und zugleich als Puppen, die dem menschlichen Vorbild äußerst ähnlich sehen. Michael Pietsch schuf diese fantastischen Puppen, führte sie zum Teil und agierte auch in der Rolle des Prokuristen als Schauspieler auf der Bühne.

Die Drehbühne ist fast immer in Bewegung. Wir sehen Gregors karg möbliertes Zimmer in vier verschiedenen Größen. Und fast nie passen Puppendoppelgänger und Schauspieler in der Größe zum Zimmer oder zum Esstisch der Samsas. So sitzen mal die Schauspieler am Tisch und die Puppe Gregor stößt hinzu. Oder umgekehrt. Gockel: „Gregor Samsa trifft immer so auf seine Familie, dass sie nicht zusammenpassen.“ So wiederholen sich manche Szenen in wechselnden Größenzusammenstellungen. Dadurch ergeben sich ständig neue Perspektiven, mal die Gregors, dann die seiner Familie.

Gockels Konzept geht auf, kann er sich doch auf hervorragende Schauspieler verlassen. Nils Kreutinger, dessen schwarz schillerndes Gummikostüm an einen Insektenpanzer denken lässt, ist ein überzeugender Gregor, der sich mal im Bette liegend vor den Anstrengungen des Berufs zu drücken scheint, dann wieder mit der Marionette seines Egos spielt. Seine Eltern sind die asthmatisch rauchende Mutter (Katharina Linder) und der Vater (Uwe Zerwer), der Gregor (in der Miniaturversion) bösartig mit Äpfeln bombardierende Vater. Die auf Gregors Kosten lebende Parasitenfamilie (Gregor hatte jahrelang die Familie ernährt, „aber eine besondere Wärme schien sich nicht zu ergeben“) wird vervollständigt durch seine Schwester Grete (Luana Velis), die sich gern lasziv-verführerisch gibt.

Die eigenartige, manchmal fast surrealistische Stimmung des Abends wird durch Songs verstärkt, die die Familienmitglieder vortragen. So singt Katharina Linder Nick Lowes The beast in me und Uwe Zerwer fesselt mit Randy Newmans düsterer Ballade In Gemany before the war.

Das Schlussbild fügt sich in diesen nachhaltig in Erinnerung bleibenden Abend wunderbar ein: Nils Kreutinger spielt mit Marionetten, die Gregor darstellen. Und immer noch folgt eine kleinere Ausgabe, so dass er sich letztlich ganz aufzulösen scheint.