Übrigens …

// Futur3 // NICHTS im Orangerie -theater im Volksgarten

Schwarzes Theater im Nebel

Es fing schon spannend an im Kölner Orangerie-Theater: Die Zuschauer stolperten über den unebenen, wenig erleuchteten Gartenboden um das Gebäude herum in den Keller des Hauses, wohin der Empfang und die kleine Bar umgezogen waren. Alle wurden eingekleidet in graue Mönchskutten, gemeinsam ging es dann im Gänsemarsch in den Theatersaal. Auch hier steckte viel Arbeit drin: anstatt der abgebauten Zuschauertribüne gab es ringsherum kleine Pappkisten als Sitz. Der ganze Raum (Petra Maria Wirth) war ein Kunstwerk für sich, der Zuschauer wird ein Teil des Geschehens, Licht kam durch von außen beleuchtete Fenster, der gesamte Boden war mit einem grauen Material bedeckt. Natürlich fasste jeder mal rein: für Sand zu leicht und zu weich, offensichtlich geschreddertes Plastikmaterial, erhitzt vielleicht für Böden in Sporthallen. Assoziativ denkt man an den Einzug von Mönchen aus der Krypta in eine Domkirche. Oder von Schülern in die Stoa, eine griechische Philosophenschule. Und sinniert über das, was vorher in der Ankündigung unter www.futur-drei.de zu lesen war: auf der Basis des 750-Seiten-Standardwerkes von Ludger Lütkehaus „Nichts. Abschied vom Sein. Ende der Angst“ - ein theatralisches Essay über den Nihilismus, über die Geistesgeschichte des Abendlandes. Und alles in nur 75 Minuten; man durfte gespannt sein.

Zwei Schauspieler (sehr überzeugend: André Erlen und Stefan H. Kraft) stehen bereits im Rund, als Redner fantasievoll gekleidet, aber mit marionettenhafter Bewegung, und deklamieren (durch anfängliches Playback leider akustisch schwer verständliche) Texte, man erkennt Goethes Faust (Prolog im Himmel) und Bergmanns Siebtes Siegel. Zur Rede kam auch der Satyr Silenos, der nach der Mythologie gefoltert wurde, um das Optimum für den Menschen preiszugeben: „Erst gar nicht geboren zu sei, und wenn doch, möglichst bald zu sterben“. Obwohl es gelte, dass „zu Leben“ oder „zu Sein“ gut, und „nicht zu leben“ schlecht sei. Aber das „Nichts“, was ist das dann, wenn es nichts ist? Auch die Schöpfungsgeschichte und der Urknall werden thematisiert; die Zuschauer sind stark gefordert, es ist schwierig, alles zu verfolgen, zu interpretieren und auch noch im Kopf zu behalten. Der Wortschwall der Beiden wird unterbrochen vom Start einer großen Rube-Goldberg-Apparatur, einer Nonsens-Maschine, die sich über den ganzen Raum erstreckt - und auf Anhieb auch funktioniert: da läuft ein Bewegungsmechanismus ab mit fließendem Wasser, einem rollendem Ball und einem Autoreifen, diversem Gerümpel und allerlei kippenden Objekten. Das bringt etwas Heiterkeit und Entspannung in das anstrengende Spiel. Vielleicht aber auch als Sinnbild für die zwangsläufige Abfolge aller Ereignisse der Welt; denn dazu schwingt über den ganzen Abend ein Pendel, immer langsamer, Zeichen für jegliche abnehmende Aktivität des Menschen?

Die im Stück namenlosen Schauspieler, gegen Ende unter einer Raben- und Hasenmaske, tauschen später mehrfach Kurznachrichten aus, mit dem Rücken zur Wand, auf welche die Texte projiziert werden. Und André Erlen versucht sich gar als klassische Ballerina, dadaistisch weitläufig hüpfend und schwebend durch den ganzen Raum, statt auf Ballettschuhen nur auf Socken und ansonsten pudelnackt. Und natürlich wird auch fleißig mit Theaternebel gepustet.

Ob man den Geist des Nihilismus oder den Kontext des Werkes von Lütkehaus überhaupt oder zumindest im Ansatz nachvollziehen konnte, wird zumindest für den Rezensenten nicht ganz klar; es fehlte ihm schlussendlich der Blick auf den inneren Zusammenhang dieser Theatercollage (was natürlich aber auch an ihm selbst liegen kann). Da helfen auch Szenen wie die Fütterung eines quäkendes Babys mit anschließendem „Hoppe Reiter“ oder das Abspielen von Beethovens „Ode an die Freude“ als Preisung der Schöpfung nicht wirklich weiter.

Das war auch das Ergebnis eines anschließenden Gesprächs mit zwei etwa gleichaltrigen Zuschauern. Haben die Schauspieler (die auch selbst Regie geführt haben), das Stück wirklich ernst genommen oder war das nur eine inszenatorische Spielwiese, wenn auch auf hohem Niveau ? Sozusagen „schwarzes Theater im Nebel“ ? Mit Zweifeln am Schöpfungserfolg, oder mit der Forderung, die Welt mit Gelassenheit anzusehen? Oder mit der finalen zentralen Botschaft, zu lernen, mit der Sinnlosigkeit leben zu können ? Dem Vernehmen war auch die Publikumsreaktion nach der Premiere durchaus gespalten.

Die Macher nennen das Stück selbst ein „Theaterexperiment“; als solches ist diese Uraufführung sicherlich eine sehr willkommene und sehenswerte Bereicherung der Kulturszene. Verdienter lebhafter Applaus.