Ein Spiel mit und um Vorurteile
Sarah Nemitz und Lutz Hübner zeigen in ihrem Stück Phantom (Ein Spiel) eine unbarmherzige Analyse der Vorurteile innerhalb unserer Gesellschaft, die sich oft gern offen und tolerant gibt. Insbesondere Roma werden jedoch häufig mit Argwohn betrachtet, wobei unter dieses „Etikett“ fast alle aus Osteuropa stammenden Migranten fallen. Was diese Menschen treibt, die Heimat zu verlassen, interessiert die meisten nicht.
Blanca ist eine junge Frau aus Bulgarien. Ihre Familie entscheidet, dass sie die Heimat, wo Armut und Chancenlosigkeit dominieren, verlassen soll, um sich in Deutschland eine Existenz aufzubauen, um später die Verwandten ins „gelobte Land“ nachzuholen. Die erste Arbeitsstelle verspricht ihr der Vetter, der schon in Deutschland lebt und dort angeblich eine Firma hat. Zunächst kassiert er aber ab („Ihr müsst einmal investieren.“), um dann spurlos abzutauchen. Blanca muss sich alleine in der neuen Umgebung behaupten, wo manch einer versucht, ihre Situation auszunutzen. Als Kontrastfolie zu dieser starken Persönlichkeit lernen wir die schwangere Annika kennen, die das Klischee einer hilflosen, von Sozialhilfe abhängigen Frau verkörpert, die nichts auf die Reihe bekommt und so auch das Kind bald nach der Geburt aussetzt.
Der Abend beginnt mit der Szene in der Fast-Food-Filiale in der Breitenbachstrasse, in der fünf Angestellte nach Feierabend den Säugling finden. Da kurz vorher eine Roma-Frau im Burger-Imbiss gesehen wurde, gehen sie davon aus, dass sie das Kind ausgesetzt hat. Im Folgenden erfährt man dann mehr über Blancas Schicksal und auch über die Beziehung dieser handfesten Frau zu der asozialen Annika.
Im Studio des Theaters Mönchengladbach inszenierte Sascha Mey, Jahrgang 1987. Seit der Spielzeit 2010/11 ist er Regieassistent am Theater Krefeld/Mönchengladbach. Die beengte Räumlichkeit der Spielstätte trägt zur unmittelbaren Nähe des Publikums zum Geschehen auf der Bühne bei. Mey lässt die Szenen in Bulgarien wie ein Schattenspiel hinter einer beleuchteten Leinwand spielen. Die Rolle der Blanca wird abwechselnd von den drei Darstellerinnen (Denise Matthey, Eva Spott, Helen Wendt) übernommen. Zuweilen werden ihre Geschichte und ihre Gefühle von den jeweils nicht die Protagonistin darstellenden Frauen mehr beschreibend erzählt. Christopher Wintgens und Paul Steinbach übernehmen beide diverse Rollen, u.a. den Vetter Tudor und Annikas brutalen Freund Marco.
Der Ansatz ist klar. Es sollen möglichst verschiedene Aspekte und Diskussionsansätze aufgezeigt werden. Dennoch wird es erst berührend, als sich die Beziehung zwischen Annika und Blanca entfaltet und wir dies in einer längeren Spielphase miterleben. Denise Matthey verkörpert glaubhaft die toughe Bulgarin, die unermüdlich gegen alle Widrigkeiten ankämpft: „Entweder man schwimmt oder man geht unter.“ Helen Wendt ist eine anrührende Annika, voller Komplexe und Ängste, die sich zum einen nach Hilfe sehnt, dann wieder aggressiv-verzweifelt Blanca attackiert, weiß sie doch nicht ein noch aus.
Die Produktion zeigt immer wieder gängige Klischees auf: den betrügerischen Vetter, den ausbeuterischen Arbeitgeber (der die Migranten auch ohne Sozialversicherung Spargel stechen lässt), den unmoralischen Zimmervermieter (der absurde Mieten verlangt), die Hartz-IV-Frau (die vom Staat lebt und selbst noch kein Geld verdient hat). Im Gegensatz dazu Blanca, auch Sancta Blanca genannt, die zielstrebig ihren Platz in unserer Wohlstandsgesellschaft zu erobern sucht.
Ein nach wie vor aktuelles Thema und daher sehenswert.