Übrigens …

Der Zauberer von Oz im Schauspielhaus Düsseldorf

Sich selbst in der Freundschaft finden

Zeit hat keiner, nie. Immer Eile und Termine. Hektik, Stress. Acht-Uhr-Maschine“, singt Dorothy, das elternlose Mädchen im grauen Faltenrock und blassrosa Pulli vor der hohen grauen Häuserfassade. Ein so gar nicht märchenhaftes Bild zu Beginn des „Weihnachtsmärchens“ im Düsseldorfer Capitol-Theater. Doch dann macht die einsame Doro sich auf in das Land ihres „Traums von dieser Nacht“ und alles gerät aus den Fugen. Die bedrohlichen Fassaden zerbersten und fallen in sich zusammen (im Video), der Bühnenraum öffnet sich, die Konstruktion scheinbar freischwebender Stege wird sichtbar: der Weg in die fantastische Welt des Landes Oz und der Smaragdenstadt, dem Sehnsuchtsort des Traumes. Schmetterlings-Wesen flattern umher und wir erfahren, dass die Hausfassade die Böse Hexe des Westens erschlug und Doro dafür von der Guten Hexe des Nordens mit roten Glitzerschuhen und einem schützenden Kuss auf die Stirn belohnt wird. Und diesen Schutz wird sie brauchen, denn allerlei Gefahren lauern: Wölfe, Wespenschwärme, Krähen, geflügelte Affen, sie alle werden befehligt von einer weiteren Bösen Hexe. Doch alle diese Unbilden sind zu meistern, wenn man nicht allein ist: wenn man Freunde hat. Und das ist die Botschaft, der Kern dieses amerikanischen Märchens. „Zusammen geht alles leichter“, wiederholen die so höchst unterschiedlichen Freunde mottogleich, denn sie sind schließlich zu viert auf dem Weg zum Zauberer von Oz, der ihnen das herbeizaubern soll, was ihnen nach ihrer Selbsteinschätzung fehlt. Die kluge Vogelscheuche (Alessa Kordeck), die sich für dumm hält, wünscht sich „Stervand“, da ihr „Stropf mit Koh stollgevopft ist“. Dabei macht sie intelligente Pläne, vertauscht aber beim Sprechen die Buchstaben (eine tolle Idee zum Nachahmen für die jungen Zuschauer!); der traurige Blechmann (Bernhard Schmidt-Hackenberg), der glaubt gefühllos zu sein, doch in Wahrheit voller Mitgefühl für die anderen ist, wünscht sich ein echtes Herz; der Löwe (Paul Jumin Hoffmann) wäre gern mutiger, damit er dem Anspruch der anderen Tiere, „König der Tiere“ zu sein, gerecht werden kann. Unterdessen vertreibt er jedoch – angefeuert von den Freunden – durch beherztes Brüllen die Bösen Wölfe. Dorothy schließlich wünscht sich den rechten Weg nach Hause.

Endlich angekommen in der funkelnden Smaragdstadt des Großen Zauberers (eine zauberhafte smaragdgrüne Licht-/Videoinstallation der gesamten Bühne), entpuppt der sich als hilfloses Männlein und bekennt seine Unfähigkeit zu zaubern. Doch von der Enttäuschung der Freunde ermutigt, „zaubert“ er ihnen, was sie sich wünschen und ja doch schon längst haben. „Ein bisschen zaubern kann ich ja doch“, versichert er und lässt den Löwen seinen Mut, die Vogelscheuche ihren Verstand, den Blechmann sein Herz und Doro den rechten Weg erkennen. Der kluge, „große Zauberer von Oz“ zaubert auf seine Weise aus jedem von ihnen nichts als das verborgene Selbstbewusstsein hervor.

Robert Neumann bringt diese anrührende Geschichte über die Freundschaft - die das Anders-Sein der Anderen kennen und schätzen lernt und am Ende jeden zu sich selbst führt – in ruhigen, überzeugenden Bildern auf die Bühne. Er verzichtet darauf, mit den Figuren der Bösen zu schockieren und zu erschrecken, lässt vielmehr selbst die Böse Hexe in weiß-glitzerndem Prinzessinnen-Kleid ihre Macht vom obersten Steg aus entfalten und schickt als aggressiven Krähenschwarm nicht schwarze Ungeheuer, sondern weiß-rote Phantasie-Videos über die Bühnenwand. Licht- und Sounddesign, flirrender Gold- und Silberregen aus dem Bühnenhimmel sowie die behutsame Live-Streichmusik untermalen das Märchenhafte dieser leisen, gar nicht effekthascherische Inszenierung, die von einem eindringlich spielenden Ensemble getragen wird. Dabei besonders überzeugend und zu Herzen gehend, das selbstverständliche Mit- und Füreinander-Einstehen der vier so völlig unterschiedlichen Freunde mit all ihren Skurrilitäten.

Die Düsseldorfer Adaption des Amerikanischen Kinderbuches von Lyman Frank Baum (Originaltitel The Wonderful Wizard of Oz) aus dem Jahr 1900 wird zu Recht als „Familien- und Kinderstück“ für Kinder ab sechs Jahren empfohlen.