„Die Mode ist immer heute abgelaufen.“
Elfriede Jelinek hat von jeher ein Faible für Mode, für auffällige Frisuren und teure Kleidung gehabt. Die Nobelpreisträgerin legt Wert auf ihr Äußeres, liebt ausgefallene Schnitte und ist immer top geschminkt. In ihren Werken streift sie das Thema Mode seit ewigen Zeiten. Jetzt kam in der Modestadt Düsseldorf ihr jüngstes Werk Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir! zur Uraufführung.
Jan Philipp Gloger, geboren 1981 in Hagen, arbeitet seit 2007 als Opern- und Schauspielregisseur, u.a. am Residenztheater München, am Deutschen Theater Berlin und am Staatsschauspiel Dresden. Gloger hat bereits zwei Jelinek-Inszenierungen herausgebracht: 2011 die Winterreise in Mainz und 2014 Schatten (Eurydike sagt) in Karlsruhe. Kontakt zur Autorin hatte Gloger nie, auch nicht bei dieser neuesten Produktion.
Wie immer gibt die Autorin einen ca. 100 Seiten langen Fließtext vor, ohne jegliche Rollen- oder Szenenzuteilungen. Gloger musste selbst Figuren entwickeln (er wählte sechs Frauen und ein Mädchen), Dialoge, Monologe, Passagen mit chorischem Sprechen festsetzen, der Textfläche eine Struktur verleihen. Gloger hat es geschafft, den Textwust in ein vielseitiges, ansprechendes Stück zu verwandeln. Mit witzigen Szenen und einer in drei Bereiche gegliederten Bühne. Eine quer zum Publikum verlaufende Straße, die auch einmal als Catwalk dient, dahinter ein sehr naturalistisches Gebüsch oder eine Art verwilderter Vorgarten mit Sträuchern und Tannen, leicht ansteigend. Auf der obersten Ebene ein moderner Bungalow mit großen Glasfenstern und –türen, ein Ausstellungskasten. Hier erzählen die sechs Protagonistinnen endlos von ihren Wünschen bezüglich der richtigen Mode. Von dem ach so dringlichen Problem, sich stets aktuell zu kleiden („Die Mode ist immer heute abgelaufen.“). Was soll die Kleidung aussagen? Welche Designer sind „in“, welche „out“? Karin Pfammatter hat ein Solo mit einem exquisiten Löcherpulli, in den sie sich schließlich so verstrickt, dass sie wie eine Mumie aussieht. Es wird von der Verführbarkeit durch Mode gesprochen, von Online-Bestellungen („Überall sonst muss man warten, im Netz nie.“), vom ökologischen Desaster als Folge des Baumwollanbaus in der Dritten Welt, von eingestürzten Fabriken und toten Näherinnen in Indien, vom Konsumzwang („Die Menschen wollen außer sich geraten.“).
Die Sprecherinnen wechseln sich ab bei diesem Kaleidoskop der Bezüge, die Jelinek mit dem Thema verknüpft. Sei es Gisele Bündchen oder der Zwang, mitzumachen, der eigene unperfekte Körper, Luxuslabels, Plagiate, die Glücksgefühle beim Kaufen oder Konkurrenzphänomene. Immer neue Kostüme werden vorgeführt auf dem Catwalk, wobei alle Frauen eine Frisur à la Jelinek tragen.
Auch übergroße Plüschtiere haben ihren Auftritt, ein Hase, ein Fuchs und ein Bär. Hier folgt Gloger einer Vorbemerkung der Autorin, in der sie sagt: „Am liebsten ließe ich nur Plüschtiere, also Schauspieler und Schauspielerinnen als Plüschtiere, auftreten.“
Neben Mode spielen das Älterwerden und der Tod eine Rolle in diesem Stück. Ein Gegensatz, hier die permanente Erneuerung, da das langsame Vergehen. Gloger hat bewusst Manuela Alphons, 70, ins Ensemble geholt: „Diese brauche ich, denn sie ist in Jelineks Alter. Sie hilft uns total dabei, aus der Perspektive einer 70-Jährigen auf das Stück zu gucken.“ So hält sie zum Ende des Abends hin einen bewegenden Monolog über das Sterben: „Wie soll ich die Frage des Todes nach meinem Kleid beantworten?“ Hinter ihr eine Projektion eines Textes, die immer mehr herangezoomt wird, ein schwarzer Hintergrund mit sich vergrößernden Schriftzeichen, die letztlich im Dunkel verschwinden.
Tabea Bettin, Judith Bohle, Claudia Hübbecker und Lou strenger ergänzen das hervorragende Ensemble.
Am Ende tragen alle Schwarz. Ein spießiger Jägerzaun wird um das Grundstück aufgestellt. Das Licht wird gedämmt. „Auf das letzte Stück kommt es an. Ist doch das Leben ohne Tod nichts.“Der Schlussappell „Lassen Sie sich los!“ beendet einen äußerst klug inszenierten Abend..