Übrigens …

Die Heilige Johanna der Schlachthöfe im Theater Münster

Mechanismen des Kapitalismus

Brecht ist aktuell - und wie. Das stellt Frank Behnke mit dessen Heiliger Johanna der Schlachthöfe unter Beweis. Auf Bernhard Niechotz’ knallroter Bühne wird gezeigt, wie Kapitalismus funktioniert, wie perfide durchdachte Krisenlösungsstrategien aussehen. Ilja Harjes als Fleischkönig Mauler zeigt dies mit geradezu perfider Freude, tarnt seine Pläne als Akt der Menschlichkeit. Quicklebendig springen ihm Daniel Rothaug, Jonas Riemer und Christian Bo Salle bei: mal als Verbündete, mal als Gegner.

Viel Bewegung prägt die Szene. Während vorn die Schlacht um den Fleischmarkt tobt, befinden sich im Hintergrund jene, auf deren Rücken dieser Krieg ausgetragen wird – arm, elend, hungrig, ein veritables Lumpenproletariat. Ulrike Knobloch als Frau Luckerniddle etwa, die eingefangen von einer Handkamera erschreckend authentisch verhärmt und ganz am Boden liegend daherkommt.

Behnke zeigt mit Brecht das gnadenlose Wesen des Kapitalismus messerscharf auf – besonders in den chorisch gesprochenen Passagen. Er arbeitet auch die Funktion von Religion als Betäubungsmittel heraus, deren Janusköpfigkeit in Martin Bruchmann als Heilsarmeemajor Synder aalglatt Gestalt annimmt.

Und mitten in dieser Schlangengrube die intensive Sandra Bezler als Johanna Dark. Zart und fordernd zugleich sieht sie in allen Menschen Gutes, ist deshalb zu wirklicher Parteinahme nicht fähig, vereitelt den Kampf gegen die Unterdrücker und stirbt an einer Lungenentzündung.

Johannas Tod gestaltet Behnke zu einer symbolträchtigen Szene: Die Fleischbarone feiern ihren grandiosen Sieg, verteilen Sekt im Publikum, während Johannas Leiche zu einer Pietà aufgebaut und vereinnahmt wird. Und die Heilsarmee singt – an der Elektronenorgel begleitet von Jonas Nondorf – „Fly me to the Moon“. Etwas zuviel des Guten vielleicht. Doch lässt sich gerade hier ablesen, warum die Heilige Johanna, wie Brechts dramatisches Werk insgesamt ebenso aktuell wie ermüdend ist: Permanent hat man einen oberlehrerhaften Zeigefinger vor Augen. Alle Mechanismen des Kapitalismus werden aufgezeigt, aber doch mit aus heutiger Sicht bemerkenswerter Schlichtheit und immensem demonstrativem Gestus.Daran können auch eine temporeiche Inszenierung und ein ungemein engagiertes Ensemble nichts ändern.

Zu Recht gibt es viel Beifall für ein engagiertes Team in Münsters Kleinem Haus.