Übrigens …

Die Fastnachtsbeichte im Schauspielhaus Düsseldorf

Mord im Dom im Konfettiregen

Am Fastnachtsabend des Jahres 1913 – es war ein trübkühler, dämmriger Nachmittag Mitte Februar“, so beginnt Zuckmayer 1959 seine humorige Demaskierung einer (Fastnachts)-Gesellschaft. Doch in Düsseldorf ist am Premierentag Weiberfastnacht und draußen tobt der angekündigte Orkan Thomas um die „Brücke“, das Foyer der inzwischen wie selbstverständlich angenommenen Ersatzspielstätte. Sturm und Regen fegen an diesem Abend die Straßen leer, sodass „der heitere Lärm, Trommelschlag, Pfeifengeschrill, und das schon leicht angeschwipste Gejohle“ nicht von draußen hereingeweht werden, vielmehr im ausverkauften Saal von dem temperamentvollen Live-Musiker Markus Schinkel und den gutgelaunten Schauspielern selbst produziert werden müssen. Die sitzen in altertümlichen Kostümen brav aufgereiht – drei Frauen und vier Männer – an einem leicht geschwungenen Podium hinter Mikrophonen und krempeligen Tischlämpchen unter einer riesigen Diskokugel und fabrizieren, noch ehe das erste Wort fällt, skurrile Summ-Brumm- und Pfeiftöne zu Klaviermusik. Dann ein dröhnender Gongschlag und der erste Erzähler versetzt uns in den Dom zu Mainz, wo gerade im Beichtstuhl des Domkapitulars Dr. Henrici - der „nicht nur im Ruf eines ungewöhnlich scharfen Gedächtnisses sondern auch einer zunehmenden Schwerhörigkeit“ stand – ein junger Mann in Kavalleristenuniform nach den Worten „Ich armer, sündiger Mensch“ mit einem sizilianischen Dolch im Rücken tot zusammenbricht. In den nächsten neunzig Minuten werden die sieben Spieler*innen in fünfzehn verschiedenen Rollen den Fall aufklären und uns mit ihren Texten an die unterschiedlichsten Plätze der Stadt führen: in die Villa des „Fürsten des lokalen Frohsinns“, Adelbert Panezza (Lutz Wessel), in das Haus seiner (heimlich) heißgeliebten Prinzessin Katharina Bekker (die selbst gar nicht auftritt), aber auch ins Bordell und auf einen Tanzboden und nicht zuletzt in den Gerichtssaal.. Und das alles ohne die lange Tafel zu verlassen.

Obwohl über dem Ganzen ein Hauch von genialer Improvisation, von spontaner Spielfreude und Selbst-Ironie liegt, funktioniert alles mit äußerster Präzision. Kleider und Requisiten, Sprache und Gestik verwandeln den Domherrn blitzschnell in den Kriminalrat Dr. Merzbecher (das schafft Thiemo Schwarz humorig, ohne Übertreibung). Ein wahres Meisterstück komödiantischer Verwandlung liefert dabei Cathleen Baumann ab: vom flirtenden Dienstmädchen wird sie sekundenschnell zur hexig-bösen, leicht hysterischen Trauer-Mutter oder zur frankophilen Puffmutter. Es ist Weiberfastnacht und alles darf ein bisschen ins Groteske gezogen werden. Dabei sind die kuriosen Accessoires wichtig, denn es handelt sich nicht wirklich – wie im Untertitel angesagt - um ein Live-Hörspiel, sondern eher um eine szenische Lesung, bei der die Textblätter mehr oder weniger zum Einsatz kommen. So spricht Lou Stenger ihren Part als Viola Moralto, die geheimnisvolle Nichte aus Sizilien, ganz frei - und mit herrlich sizilianischem Akzent - und klärt am Ende in einem anrührenden Monolog die Mordgeschichte im Dom auf. Dabei endet sie – und die ganze Darbietung - wo sie begann: im Beichtstuhl im Dom. Denn die schöne Sizilianerin fühlt sich schuldig, da sie glaubt, mit ihren Gedanken den Mörder ihres Geliebten manipuliert und zur Tat verführt zu haben. „Ich liebte ihn mörderisch…Ich wollte ihn tot - oder lebendig, und wenn ich ihn nicht mehr haben konnte – lieber tot!“ Der Mörder, ein Zwitter zwischen Mensch und Hund, zugleich ihr Halbbruder, ist ihr völlig ergeben und ausgeliefert. Und da liegt auch des Pudels Kern der ganzen Erzählung um Liebe (gelegentlich auf Abwegen), Sehnsucht, Schuld und Sühne: inzwischen dämmert der Aschermittwoch herauf, die Demaskierung der Maskierten findet statt, Identitäten werden enthüllt, Leidenschaften, Schuld und Verstrickungen offenbart und in den Beichtstuhl getragen: „Es gab nämlich damals noch, in manchen Städten am Rhein, eine alte Einrichtung, welche ‚die Fastnachtsbeichte‘ hieß – die aber nur im Dom, nicht in anderen Pfarrkirchen gehört wurde. Sie sollte wohl solchen, die es in diesen Tagen zu arg getrieben hatten, die sofortige Gelegenheit zur Erleichterung und Reinigung ihres Gewissens bieten.“

Doch nicht nur die Sünden der letzten Nacht werden bekannt, auch alte Verstrickungen werden aufgedeckt: So ist der Ermordete der uneheliche Sohn des Faschingsfürsten. Obwohl seit einem Jahr als Fremdenlegionär totgesagt, erschlich er sich unter falscher Identität Liebe und Geld der schönen Sizilianerin. Dabei nutzt er auch die Ergebenheit seines von der Mutter gedemütigten und sogar des Brudermordes bezichtigten Bruders Clemens (Alexej Lochmann) schonungslos aus. Für den hält Zuckmayer dann allerdings ein Happyend bereit: Er wird die geliebte Hure Rosa (Hanna Werth) am anderen Ende des langen Tisches bekommen. Und allen reuigen Sündern wird vergeben.

Der gesamte Text wird am Flügel phantasievoll musikalisch untermalt, durch klangmalende Geräusche und Liedfetzen („Die Männer sind alle Verbrecher!“) aktualisiert und durch gelegentlichen Konfetti-Regen oder heftige Kammellen- Würfe ins Publikum karnevalesk aufgemotzt.

Ein gelungener Abend, für den die bravouröse Truppe um die Hausregisseurin Bernadette Sonnenbichler (preisgekrönte Hörspielexpertin ) und den Musiker Marcus Schinkel nur fünf Tage Probenzeit zur Verfügung hatte. Da drängte sich am Ende ein gemeinsames Karnevalslied auf, bevor das gutgelaunte Publikum stürmisch applaudierte.