40:30 Wilton
Kann man auf Glück als Lebensprinzip vertrauen? Nicht auf Glück als tiefempfundenes Moment, sondern als etwas, dass im richtigen Moment da ist?
Woody Allen erzählt in Match Point von Chris Wilton, einem mittellosen Tennislehrer, der genau das tut. Und es gelingt. Mit Geschick, guten Manieren, Kalkül und Zufall ist er irgendwann befreundet mit der britischen Upper-Class-Familie Hewett, verkehrt auf einmal in den feinsten Londoner Kreisen. Und er scheint endgültig ein gemachter Mann zu sein, als er Cloe, die Tochter des Hauses heiratet. Wäre da nicht die verführerische Verlobte seines Schwagers Tom. Mit ihr beginnt er eine amour fou. Als Nola schwanger wird und Konsequenzen von Chris fordert, weiß der, was er tun muss. Sein perfekter Plan darf von niemandem ins Wanken gebracht werden...
Woody Allen legt Match Point kammerspielartig an. Das ist eine ideale Vorlage für Christian Brey, der eine deutschsprachige Bühnenfassung erarbeitet und diese im Theater Münster auch inszeniert. Die Filmdialoge sind bestens theaterkompatibel und so entsteht tatsächlich so etwas wie ein Film auf der Bühne. Das kann vor allem auch deshalb so gut gelingen, weil Anette Hachmanns Bühnenbild einen idealen Rahmen dafür gibt. Zwei Treppen führen links und rechts auf eine Reling, die von einem weiß-metallenen Geländer eingefasst ist – mal Tennisclub, mal Opernloge. Darunter dienen die Metallstäbe als Einfassung für Türen ohne Füllung oder für Spiegel. Diesen Raum nutzt Regisseur Brey, um Bewegung ins sonst eher von den Dialogen lebendem Geschehen zu bringen. Exzellent gelingen Brey die Szenenwechsel. Denn es gibt neben längeren auch sehr viele kurze und sehr kurze Sequenzen. Brey schafft ein großes, einheitliches Bild, indem er fließende Auf- und Abtritte einsetzt. So fügt sich eine Szene nahtlos in die andere.
Garry Fischmanns Chris Wilton ist so smart und so brutal egoistisch – eine Mischung aus Dostojewskis Raskolnikov und de Maupassants Bel Ami. Jonas Riemer (Tom Hewitt) ist nicht weniger egoistisch, wechselt seine Freundinnen wie es ihm gefällt. Das scheint für ihn ein ganz natürliches Vorrecht seiner Zugehörigkeit zur Oberschicht zu sein. Diese angeborene Blasiertheit verbindet ihn mit seiner Schwester Cloe, für die in erster Linie ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Sandra Bezler stattet sie mit fast naiver Harmoniesucht, aber auch mit Härte aus, wenn etwas nicht nach ihrem Willen geht. Beider Vorbild ist ihr Vater: Mark Oliver Bögel kommt scheinbar gar nicht in den Sinn, dass sich jemand seinem Willen wiedersetzen könnte. Regine Andratschke komplettiert diese Familie mit einem herrlichen, übermäßigem Hang zu Cocktails aber auch einem eisernen Familiensinn. Den bekommt Natalja Joselewitsch als Nola zu spüren. Diese Amerikanerin aus der Unterschicht wird gnadenlos weggebissen. Joselewitsch beglaubigt Nolas verzweifelten Kampf um ein wenig Glück anrührend.
Match Point wird mit viel Beifall honoriert – eine gelungene Bühnenadaption, die die Redensart „über Leichen gehen“ spannend und facettenreich ausleuchtet.