„Randalierende Liebe, verliebter Hass“
Die wohl bekannteste Liebesgeschichte der Literatur – Shakespeares Romeo und Julia – wurde von Marius von Mayenburg neu übersetzt und auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses in Szene gesetzt. Und er veränderte den Blick auf diese fast symbiotische Liebesbeziehung zwischen zwei jungen Leuten, die verfeindeten Häusern in Verona angehören und letztendlich von der Familienfehde eingeholt werden und im Doppelselbstmord sterben.
Marius von Mayenburg sieht zwar deren romantische Liebe in einer feindlichen Umwelt, er legt aber genauso viel Wert auf die im Stück gegebene Todessehnsucht: „Das Stück handelt mindestens ebenso sehr vom Tod wie von der Liebe…von einer spezifischen Liebe, die unter dem Zeichen des Todes steht“. Und diese Nähe zum Tod ist für von Mayenburg ein jegliche Pubertät begleitendes Motiv.
Bühnenbildner Stéphane Laimé hat in Bochum eine hohe Mauer auf die Bühne gestellt. Verona, eine geteilte Stadt. Ein Teil des Publikums sitzt im Zuschauerraum (Montague-Seite), die Capuletfraktion auf der Hinterbühne. Man verfolgt jeweils das Geschehen auf der eigenen Seite live. Was auf der anderen Seite passiert, wird von Live-Kameras aufgenommen und auf die weiße Mauer projiziert. Close-Ups, zusätzliche Videoeinspielungen, rasante Kamerafahrten – all das ist eine neue Dimension im Theater. Die Schauspieler agieren auf der begrenzten Spielfläche nah am Publikum, was den Eindruck intensiviert, manchmal aber fast unerträglich werden lässt. So tötet Romeo (Torsten Flassig in Lederkluft und mit Tatoos wie die ganze Montague-Gang) Tybalt (Fridolin Sandmeyer im schicken Anzug) nicht im ritterlichen Fechtduell, sondern zerschmettert seinen Kopf mit bloßen Händen an der Mauer. Der Maskenball im Hause Capulet ist eine Orgie mit blutverschmierten Zombies. Zum Festessen schlingen die Gäste blutige Innereien aus großen Schüsseln. Silberner Flitter regnet auf die Besucher auf der Hinterbühne. Was wiederum fast harmlos wirkt. Der Soundtrack des Abends (Musik: Matthias Grübel) ist überwiegend düsterer Technobeat - auch wenn der eine oder andere Darsteller mit einem Song seiner Stimmung Ausdruck verleihen darf (so z.B. Roberta Flack, „Killing me softly with his song“, oder Leonard Cohen, „You want it darker“). Es ist ein Potpourri der verschiedenen Stilmittel, eine unnötige Anbiederung an unsere Zeit. Shakespeares Worte allein beeindrucken mehr als all dies Getöse. Romeo zitiert einmal Shakespeares berühmtes Sonet „Shall I compare thee to a summer’s day“ und trifft damit mehr den Kern als vieles andere.
Warum spielen Männer zum Teil Frauenrollen (wie es zu Shakespeares Zeit üblich war) , andere wiederum nicht? Matthias Redlhammer gibt eine toughe Mutter Capulet (der Vater wurde in dieser Textfassung gestrichen), vom Habitus her an eine Mischung aus Charleys Tante und strenger Gouvernante erinnernd. Durchaus glaubwürdig als Herrin des Hauses, die die Zügel fest in der Hand hält. Wenn sie jedoch Julia ob ihrer Weigerung, Paris zu heiraten, mit „du verwöhnte Tusse, du anämisches Gerippe, du Schlampe“ beschimpft, ist dies nur überflüssig. Sarah Grunert überzeugt als rebellische Julia im Gothic Look mit DocMartens und löchriger Strumpfhose. Wenn sie Romeo, zu Beginn eher der Gitarre spielende Softie, auf dem Ball kennenlernt, finden die beiden sich unter der großen Festtafel, an der die gierig zulangenden Gäste sich delektieren. Unter dem Tisch, scheinbar weit weg vom tosenden Festtrubel. Eines der wenigen ruhigen und daher beeindruckenden Bilder des Abends.
Sicherlich fehlt es nicht an Regieeinfällen und knalligen Eindrücken. Worüber man jedoch diese leidenschaftliche „amour fou“ zu oft aus den Augen verliert.