Die süße Rache eines Schimpansen
Solange er parierte und den Clown machte, war er „ne leeve Jung“. Petermann hieß er, war ein Schimpanse wohl aus Ex-Tanganjika und wuchs im Kölner Zoo zum Show- und Medienstar seiner Zeit heran. Dafür musste er – es waren die End-Vierziger und Anfangs-Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts – mit einem Löffel Suppe schlürfen, einen Ringelpulli tragen, mit einem Baby-Lätzchen die behaarte Brust schützen– und so, vermenschlicht, für die Kölner Zoo-Besucher den Molly machen.
Das mag kafkaesk klingen, an Kafkas Bericht für eine Akademie erinnern. In Wirklichkeit war es ein Verhohnepiepeln der Affen-Natur, um dem äffischen Vergnügen der Kölner zu dienen. Irgendwann muss dem Tier diese Lebensart auf die Nerven gegangen sein. Am 10. Oktober 1985 unternimmt Petermann, nun etwa 36 Jahre alt, einen Fluchtversuch, verletzt dabei den Zoodirektor Gunter Nogge schwer und wird, der äffischen Logik des Menschen folgend, gnadenlos erschossen.
Der einstige Entertainer bei Modenschauen und Karnevalssitzungen, Kinopartner von René Deltgen und Liselotte Pulver, zuletzt einfach nur Deutschlands bekanntester Schimpanse, musste sterben, als er seine Freiheit suchte – und den Tod fand.
Für viele Kölner ist Petermann noch heute „ne leeve Jung“. So wie Deutschlands einst bekanntester Boxer, das kölsche Urgestein Peter Müller. Auch der wurde, wie der Schimpanse, als „leeve Jung“ vereinnahmt – und mit seinem Spitznamen „Müllers Aap“, aus kölscher Sicht, eine Parallel-Figur zum bekanntesten Affen seiner Zeit. Denn wie Petermann hat „Müllers Aap“, auch als „die Aap“ bekannt, mal zugeschlagen. Dabei ging freilich nicht der Gegner zu Boden, sondern der Ringrichter. Noch 2015 wurde Petermann gefeiert, also 30 Jahre nach seinem Tod. Er muss was spezifisch Kölnisches an sich gehabt haben. Wie anders wäre seine Faszination zu erklären.
Kölns renommierte Privatbühne, das „Theater im Bauturm“, machte sich deswegen auf den Weg künstlerisch angehauchter Recherche – und Petermann zum Bühnenhelden. Die nun präsentierte Uraufführung, im Team erarbeitet, inszenierte Nina Gühlstorff .
Einen veritablen Schimpansen gibt’s dabei natürlich nicht zu bewundern. Dafür, unter den Händen und Fäden des Bauturm-Co-Chefs Laurenz Leky, eine Petermann-Marionette. Erneut ist er also fern aller Selbstbestimmung und insofern auch als Spiegelbild nicht nur der kölnisch geprägten Nachkriegszeit zu sehen, als Petermann nach Köln kam.
Leky ist freilich nicht allein auf der Bühne, um uns Petermann und das Verhältnis der Kölner zu ihrem Zoo-Helden nahe zu bringen. Wenn die „Brass Band“, bestehend aus Posaune und Tuba, brummbärig hörbar gemacht von René Michaelsen und Christian Lang, auf den Abend einstimmt, ist die Richtung klar vorgegeben: Bunt sind ihre Klamotten und Karneval-Atmosphäre lauert. Zumal allseits bekannte Karnevals-Hits hörbar werden.
Erste ironische Brechungen lassen aber auch erkennen, dass das Kölsche nicht gerade alles ist. Die Töne kommen nämlich mal quer, mal betont verzögert und bewusst schief daher und lassen erkennen, dass (auch) die Geschichte um Petermann eine recht zwiespältige, ja sagenumwobene ist.
Putzig ist der kleine Kerl, wie verloren wirkt er an den Fäden seines Strippenziehers. Kurzweilig, voller Witz und Humor ist das hohe Lied auf dieses Äffchen, das Leky gerade mal bis zu den Knien reicht. Der erzählt uns seine farbige Geschichte, redet mit ihm auf Augenhöhe, lässt ihn vor Übermut die Musiker und Besucher anspringen. Doch irgendwann hat der Spaß eine Ende – und Petermann, eine „Kölsche Paranoia“ – so der Untertitel – steht vor dem Aus.
Noch trägt er die Funken-Uniform, macht seine Mätzchen, doch die Beinchen werden schwach und staksig – Neugier und Naivität haben sich im hektisch-unaffigen Tun verloren. Er verschwindet für immer in seinem engen Gitterkäfig im Zoo, vegetiert dort noch Jahrzehnte vor sich hin, muss sogar in seinem Gefängnis bleiben, als alle anderen Menschenaffen in eine Luxusherberge umziehen. Damit ist aber auch ein kölscher Held geboren: Mit erhobener Faust soll er - so die legendenhafte Schlussapotheose -, als er die Mauern des Zoos im August 1985 überwinden wollte, seinem Widerstand gegen menschliche Willkür Bild verliehen haben.
Für Kölner, für die gemeinhin alles Neue und Unbekannte unbequem ist und die gerne am Alten und Überlieferten kleben, ist Petermann der letzte kölnische Revolutionär. Selbst aufzubegehren, liegt ihm selbst wenig. In seiner vorgeblichen Toleranz sieht er seine Stärke. Im Fööss-Song „Drink doch eine mit“ zeigt sich des Kölners herablassende Art dem Fremden gegenüber: Unverbindlich, freundlich, scheinbar großzügig. Heute gerne Freund und umarmt, morgen vergessen.
Vergessen und dennoch zum Helden stilisiert: Das ist des Kölners ambivalente Lebens-Philosophie. Für Leky und sein tiefgründig blasendes Musiker-Duo der Anfang einer Tour d’Horizon durch die 1980-er Jahre. Mit viel Erinnerungsfetzen, Sarkasmus und vernichtenden Urteilen über die Langeweile dieses Jahrzehnts. Das ist, wie zuvor die Berichte der Zoo-Mitarbeiter und des die eigene Bedeutung vor sich her tragenden, schwer verletzten Zoo-Cefs Gunter Nogge , blendend intoniert.
Es ist ein Abend, der es trotz aller Selbstironie, Kritik und Abrechnung mit der kölschen Gleichgültigkeit, nicht verleugnen kann – und wohl auch ernsthaft nicht will -, wie selbstverliebt „der Kölner“, unbehelligt von historisch unangenehmen Wahrheiten, sein kann und bleiben wird. Da er schon Schwierigkeiten mit dem Kurzzeitgedächtnis hat, wie Leky und das Bläser-Duo verlauten lassen, verfliegt auch schnell die Begabung, sich selbst in Frage zu stellen.
Gleichwohl ein Abend, der dem Humor kölscher Prägung, versetzt mit Einsprengseln ironisch-sarkastischer Art, die Sporen gibt. Dafür gab es, wie auch anders in Köln, frenetische Zustimmung und Applaus.
P.S.: Wichtige Informationen und Erkenntnisse entnahm der Autor dieser Zeilen der 2010 erschienenen Publikation „Der Affe von Köln“ von Walter Filz. „Oder“, so der Untertitel, „Petermanns Rache“